Ein Kunstwerk am Handgelenk? Davon kann man wohl nur im übertragenen Sinne sprechen. Dort, wo die Zeiger im Gehäuse stecken, nehmen die Farbstreifen ihren Ausgang. Einer neben dem anderen scheint über das Handgelenk zu rinnen. Mal in dicken, mal in dünnen Streifen.

Spricht der englische Künstler Ian Davenport über die Uhr, die er für den Hauptsponsor Swatch anlässlich der aktuellen Biennale in Venedig geschaffen hat, dann geht es nicht um Kunst. Eher darum, welche technischen Herausforderungen er meistern musste, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Die Farbverläufe, die Schaffung eines Prototypen, die Übertragung in die Massenfertigung. Nur 1966 Exemplare gibt es von seiner Uhr. Wer jetzt noch eine will, ist wahrscheinlich schon zu spät dran.

Der Künstler Ian Davenport hat die heurige Biennale-Uhr von Swatch geschaffen. Im Hintergrund sein Kunstwerk in den Giardini.
Foto: Swatch

Die von Künstlern im Rahmen der Biennale geschaffenen Uhren sind mehr als begehrte Sammlerstücke. Vielmehr sind sie Ausdruck der Tatsache, wie stark der Schweizer Uhrenkonzern (insgesamt gehören 18 Marken zur Swatch Group) mit der Welt der Kunst verwoben ist.

Zumal die namensgebende Kernmarke: Als man am 1. März 1983 die Plastikuhr lancierte, hätte sich der Unternehmer Nicolas Hayek wohl nicht träumen lassen, welchen Siegeszug seine kunterbunten Uhren antreten würden – und welchen Bedarf man an immer neuen Produkten in Zukunft haben werde. "Wir brauchen die Ideen von Künstlern, um immer wieder neue Designs zu entwickeln", erklärt Carlo Giordanetti, der seit vielen Jahren für die Kreation der neuen Modelle zuständig ist.

Wide Acres of Time.
Foto: swatch

Künstlerklause in Schanghai

Aus diesem Grund hat man vor rund sieben Jahren in Schanghai ein ehemaliges Kolonialhotel zu einer Künstlerklause umgestaltet. "Swatch Art Peace Hotel" nennt sich das eindrucksvolle Gebäude, in dem Künstler mehrmonatige Stipendienaufenthalte bekommen können – ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Ganz ohne Hintergedanken sieht man bei Swatch das Ganze natürlich nicht: "Für unsere Kreativen ist die Auseinandersetzung mit Künstlern wichtig – und hin und wieder fragen wir einen der Stipendiaten, ob er eine Uhr gestalten möchte", sagt Giordanetti.

Vier von ihnen stellen derzeit ihre künstlerischen Arbeiten in einem eigenen Swatch-Pavillon auf der Biennale aus. Mitten zwischen den Länderbeiträgen von Albanien und Singapur kann man die Straßenfotografien der Französin Virgine Litzler oder die Wolkenkratzer-Aufsätze des Belgiers Cédric Van Parys bewundern: junge Künstler, die wohl noch einige Jahre brauchen werden, bis sie ihre Heimatländer auf der Kunst-Leistungsschau präsentieren dürfen. Vielleicht haben sie bis dahin aber bereits eine eigene Uhr designt. (Stephan Hilpold, RONDO, 2.6.2017)

Giardini Colourfall.
Foto: swatch