
Bryan Ferry. Um ihm beiwohnen zu können, im Konzert, werfen sich Damen und Herren in die feinsten Tücher. Nur gerecht, er tut dasselbe für sie. Und wie schön er erst singt, ach.
Wien – Ein wenig hat es gedauert. Aber gut, der Mann ist 71, und wenn man in dem Alter dereinst selbst noch so slim und fit wäre, man ginge jeden Tag in einen Tanztempel, um ein Kerzerl im Roxy-Music-Schrein zu entflammen. Aber sogar ein Bryan Ferry braucht ein wenig, um in Fahrt zu kommen.
Die ersten Songs wirkten in ihrer Darreichungsform noch ein bisschen Udo-Jürgenslich. Nicht schlecht, aber doch eher Mittelklasse, VW statt Jaguar. An der Auswahl hat es nicht gelegen. Gut, "Slave to Love" ist und war immer ein Schas, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, aber für einen Song wie "Ladytron" ist jeder Zeitpunkt recht.
Doch der Brite und seine Band mussten sich und ihr Zeitzeugenpublikum am Dienstag erst einmal kennenlernen, sich an den Raum gewöhnen. Sitzkonzert, Wiener Stadthalle, kleiner Saal, ausverkauft. Ein Date ist ein Date. Aber natürlich ist es dann passiert. Ausgerechnet bei "Like a Hurricane".
Vom Stallgeruch befreit
Dieses Lied aus der Feder unseres liebsten Lumpenhippies Neil Young transportierte Ferry unter die Discokugel. Allein dieses Potenzial in dem Lied zu erkennen adelt Ferry bereits. 1977 erschien das Lied auf Youngs Country-lastigem Album "American Stars 'n Bars". Einer Platte mit Walzern und Liedern über Pferde. Am Cover indigene Häuptlinge, verschneite Gipfel und ein Tipi. Nicht gerade die Zutaten, mit denen Ferry sonst seine Songs anrichtet.
Doch er befreite den Song vom Stallgeruch und platzierte ihn ins überspannte Nachtleben, wo der Hedonismus, die Einsamkeit und das Verlangen die Musik begleiten. Themen, die Ferry solo und mit seiner Band Roxy Music während der 1970er- und 1980er-Jahre mit einer Souveränität behandelte wie sonst nur David Bowie.
Zu Discorhythmen trug er also dieses Lied vor, und da rutschten die Ersten im Saal unruhig in der Ausgehgala auf den Sitzen. Beim bald folgenden "Remake/Re-Model" fassten sie sich ein Herz und machten die paar Meter zwischen Bühne und Sitzreihen langsam dicht. Der Saal erhob sich, die Über-40-Party kam in Fahrt.
Demut und Souveränität
Ferry, ein Sir, der Inbegriff des dandyesken Gentleman, vor dem man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Staub werfen würde, schon um einmal seinen edlen handgenähten Schuhen nahe zu sein, empfing den Zuspruch mit der ihm eigenen Mischung aus Demut und Souveränität. Es folgte "In Every Dream Home a Heartache", diese kränkliche Ode an eine Plastikpuppe. Mehr ungesundes Verlangen, wieder Entfremdung und Einsamkeit, die in der grandiosen Zeile gipfelt: "I blew up your body, but you blew my mind."
Bryan Ferry ist ein Popstar, so richtig. Nachhaltig, wie man heute sagt. Mit Roxy Music hat er ab 1972 die Ära des Glamrock wesentlich geprägt, Brian Eno hat den ersten beiden Alben als Mitglied seinen Stempel aufgedrückt, sie gelten als Klassiker des Genres. Mit Gespür für Zeitgeist, Trends und Stil hielt sich die Band eine Dekade lang in den höchsten Sphären des Business, bis einschließlich des 1979 erschienenen Albums "Manifesto" gilt das auch für ihren künstlerischen Output.
Parallel dazu betrieb Ferry bereits ab 1973 eine erfolgreiche Solokarriere, die bis heute 15 Studioalben umfasst. Dabei verneigte er sich vor Bob Dylan ebenso wie vor Soul – und überführte all das auf sein Terrain. Dementsprechend aufgestellt trat er in Wien mit zwei beseelten Chorsängern an, coverte Dylans "Simple Twist of Fate" und verließ sich auf die anhaltende Überzeugungskraft des Roxy-Music-Katalogs, auf Titel wie "If There Is Something", das manifeste "Love Is the Drug", "Virginia Plain" und "Do the Strand".
Einer von uns
Die Herzen der Damen (und der Herren) flogen ihm zu wie zu Hause die Schneider. Mit charmanter Ungelenkigkeit empfing er die Ovationen, offenbarte sich am Ende mit John Lennon als einer von uns, als "Jealous Guy", um nach dem getriebenen "Editions of You" den begeisterten Saal in die Nacht zu entlassen. Schweiß und Applaus. Die Einschalung ins edle Tuch und der Weg, beides hat sich wieder einmal gelohnt. (Karl Fluch, 31.5.2017)