STANDARD: Wohin entwickelt sich die Autobranche?

Wolf: International reden wir nur von emissionsfreien Fahrzeugen, Elektrifizierung und autonomem Fahren, aber ich denke, dass die Elektrifizierung länger dauert, als wir uns alle wünschen. Mit der gesamten CO2-Bilanz lügen wir uns in die Tasche. Wir wissen alle, dass ohne Dieselfahrzeuge Mobilität unmöglich ist. Wir wissen, dass der CO2-Ausstoß eines Elektrofahrzeugs, die Batterieproduktion miteingerechnet, höher ist als bei einem normalen Auto.

STANDARD: Wo sehen Sie Probleme?

Wolf: Elektroautos sind nur mit Förderung möglich. Für Elektrofahrzeuge ist eine Infrastruktur nötig, die es nicht gibt. Die Batterien sind ein Drittel zu teuer, haben ein Drittel weniger Reichweite und sind ein Drittel zu schwer. Erst wenn die Speicherfunktion gelöst ist, ist das Elektroauto für mich eine Alternative. Wenn ein paar Teslas an der Tankstelle volltanken, dann fällt die Registrierkasse aus. Wir haben uns auch noch nicht die Frage gestellt, woher der Strom kommt. Das ist kein Ökostrom, denn Strom hat kein Mascherl. Jedes Thema, dass du nur mit Förderung machen kannst, ist ein Problem.

STANDARD: Bis wann setzen sich die neuen Technologien durch?

Wolf: Wir produzieren 85 Millionen Autos, davon sind zwei bis 2,5 Millionen alternativ. 2030 sind es 120 Millionen Autos, wovon 30 Millionen alternativ sind. Aber selbst davon sind zwei Drittel Hybridfahrzeuge, die immer noch herkömmliche Motoren brauchen. Sicher, wir haben ein enormes Wachstum bei den Elektrofahrzeugen von zwei auf 20 bis 25 Prozent, aber die Produktion normaler Autos wird weitergehen.

STANDARD: Welche Treiber gibt es?

Wolf: China ist das einzige Land, das in der Lage ist, etwas bei der Elektrifizierung zu bewegen. 2030 werden die Chinesen etwa 35 Millionen Autos produzieren, und sie werden die Elektrifizierung vorantreiben, um ihre Umweltprobleme zu lösen. Wenn die Chinesen sagen, wir machen nur noch Elektrofahrzeuge für Peking, dann ist das ein Befehl und wird umgesetzt! Der Trend im Nahverkehr wird sicher auch in Richtung Elektrofahrzeug hingehen.

Siegfried Wolf sieht noch kein weltweites Durchstarten der Elektrofahrzeuge, dafür aber große Chancen im russischen Markt.
Foto: Standard/André Ballin

STANDARD: Auch in Russland?

Wolf: In Russland sind wir jetzt auf Erdgas im Nahverkehr umgestiegen. Alle Busse in Moskau sind von uns. Erdgas stößt zwei Drittel weniger Emissionen aus; ein fantastischer Wert. Erdgas gibt es hier als lokale Energiequelle.

STANDARD: Benzin und Diesel sind also doch Auslaufmodelle?

Wolf: Bei Benzin- und Dieselmotoren wird sich noch viel tun. Wenn wir von einem Einliter- oder Dreiliterauto reden, meinen wir nicht mehr den Hubraum, sondern den Verbrauch. Es wird sich Revolutionierendes tun, auch weil der Verkehr wahnsinnig zunehmen wird.

STANDARD: Warum lief es 2016 für Russlands Automarkt so schlecht?

Wolf: Wir haben 2016 einen Rückgang von elf Prozent bei Pkws gehabt. Die Realeinkommen sind gesunken, und ein Auto ein Jahr länger zu fahren ist ein kleineres Problem, als wenn das Essen ausgeht. In Russland fehlen Finanzierungsmöglichkeiten, Leasing und Kredite. Aber die Luxusmarken haben zugelegt. Generell könnte der russische Automarkt die drei- bis vierfache Fahrzeugzahl vertragen. Russland hat also Wachstumspotenzial. Aber eines ist klar: Die Russen kaufen keine veralteten Fahrzeuge mehr.

STANDARD: Leiden Sie unter den gleichen Problemen?

Wolf: Unser LCV- Geschäft ist neun Prozent gewachsen; gegen den Trend. Bei Nutzfahrzeugen und beim öffentlichen Verkehr gibt es großen Bedarf.

STANDARD: Wie geht es 2017 weiter?

Wolf: Wir sehen eine Stabilisierung. Der Ölpreis bestimmt die Einnahmen, die Stabilität des Rubels und damit die Kaufkraft. Die Währung ist planbar geworden, daneben hilft die Lokalisierung. Wir haben in Jaroslawl das modernste Dieselmotorenwerk gebaut.

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Wolf: "Wenn ein paar Teslas an der Tankstelle volltanken, dann fällt die Registrierkasse aus."
Foto: Reuters/Heinz-Peter Bader

STANDARD: Mercedes kommt jetzt nach Russland. Zur rechten Zeit?

Wolf: Ich glaube schon. Mercedes hat eine unheimlich große Strahlkraft. Ich weiß nicht, ob ich das Geld für die Produktion selbst in die Hand genommen hätte. Man braucht 140.000 Fahrzeuge, um eine Fabrik kostendeckend zu betreiben. Ich hätte gedacht, sie sind vorsichtiger mit ihrem Kapital und lassen erst einmal produzieren. Kapazitäten gibt es genug. Der Markt ist auf zwei Millionen Fahrzeuge eingerichtet.

STANDARD: Wie haben sich die Sanktionen auf die Modernisierung ausgewirkt?

Wolf: Wir haben unsere Modernisierung vor Sanktionsbeginn abgeschlossen und sind kaum betroffen. Aber insgesamt sind sie natürlich belastend. Russland streckt dem Westen nach wie vor die Hand aus. Die sollten wir annehmen. Europa hat bei Digitalisierung und IT seine Führungsrolle eingebüßt. Das "digital brain" sitzt in Amerika. Das können wir nicht mehr aufholen. Wir sind aber im Handwerk besser, also bei Robotertechnik und Maschinenbau. Russland wäre mit dem Rohmaterial als Partner prädestiniert. Wir können nur dorthin gehen, wo man uns braucht. China ist selbst auf Export fixiert, die lassen uns nicht rein. Die Russen haben trotz aller Schwierigkeiten eine gewaltige Affinität zum Westen, aber wir sehen im Bereich Lebensmittel: Sie können es im Prinzip auch ohne uns.

STANDARD: Wie funktioniert denn die Importsubstitution abseits vom Käse, also beim Maschinenbau?

Wolf: Schlecht. Die Finanzierung hängt, die Technologien sind noch nicht so weit. Aber das ist auch eine Gefahr: Hat sich der europäisch-russische Handel von 400 Milliarden Euro auf unter 200 Milliarden halbiert, so hat sich der amerikanische Handel mit Russland nach den Sanktionen verdreifacht. Die verkaufen Bell-Helikopter, wir dürfen nicht einmal Auspuffsysteme für Traktoren einführen, weil da Silencer – also Schalldämpfer – draufsteht.

STANDARD: Gaz hat sich in Hannover und sogar auf der Biennale in Venedig präsentiert. Zielen Sie mit der Marke auf Europa?

Wolf: Deutschland ist nicht unser Kernmarkt. Unser Zielmarkt hat annähernd die gleichen Gegebenheiten wie wir hier. Wir geben 150.000 Kilometer Garantie – bei dem Klima und den schlechten Straßen in Russland. Die Wagen sind robust und einfach zu reparieren. Unser Konsument muss nicht mit jedem Problem gleich in die Werkstatt. Wir orientieren uns damit auf die GUS, Nordafrika, Thailand und Südamerika. Da gibt es jede Menge Bedarf, weil es der internationalen Autoindustrie nicht gelingt, ein kostengünstiges Nutzfahrzeug zu bauen.

STANDARD: Wird die Marke Wolga wiederbelebt?

Wolf: Zu den Akten gelegt habe ich das noch nicht. Wenn Sie sich unser Portfolio anschauen, dann fehlt uns ein kleiner Pick-up. Wir haben Modularbaukästen gemacht und so gut möglich alles gebündelt und haben 50 Prozent am LCV-Markt, im Busbereich 80 Prozent, bei den Schwerlastern 40 Prozent. Der Wolga könnte eine Nische füllen. 2016 haben wir ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Unser Problem ist die hohe Schuldenlast. Immerhin: Wir haben sie von 1,2 auf eine Milliarde Dollar gesenkt und sind optimistisch für die Zukunft. (André Ballin, 1.6.2017)