Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: REUTERS/Umit Bektas

Ankara/Berlin – Die politische Führung in der Türkei versucht, die rund 260 deutschen Bundeswehrsoldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik als Faustpfand zu benutzen, um die Regierung in Berlin zu Zugeständnissen bei einer Reihe von Streitpunkten im deutsch-türkischen Verhältnis zu veranlassen. Diesen Eindruck vermittelte der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu, der bei einem Auftritt vor der Presse in Ankara einen Besuch deutscher Parlamentarier bei den Bundeswehrsoldaten erst als "derzeit nicht möglich" bezeichnete; dann aber erklärte, seine Regierung könne ihre Position überdenken, wenn sie "positive Schritte" in Berlin sehe.

Çavusoglu erläuterte nicht, welche Änderungen die Türkei von Deutschland erwarte. Türkische diplomatische Quellen in Ankara nannten auf Anfrage des Standard als Grund für das Besuchsverbot in Incirlik "die jüngste inakzeptable Behandlung, die unsere Minister und Parlamentarier während des Referendumsprozesses hinnehmen mussten". Unter den deutschen Bundestagsabgeordneten seien zudem "Sympathisanten der Terrororganisation PKK".

Alle Aspekte der bilateralen Beziehungen würden beim Besuch des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel (SPD) in Ankara am kommenden Montag erörtert, hieß es weiter. Denkbar ist, dass die Türkei auf ein Auswahlrecht bei der Einreise deutscher Bundestagsdelegationen besteht und Politiker der Linke und der Grünen ausschließen will. Ankara besteht auch auf die Auslieferung angeblicher Gülenisten und PKK-Mitglieder.

Berlin zunehmend in Sorge

Çavusoglu selbst steht derzeit unter Druck, was seine scharfe Rhetorik gegenüber Berlin auch erklären könnte. Bei der anstehenden Regierungsumbildung könnte er sein Amt an Präsident Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin verlieren.

In Deutschland wächst angesichts der türkischen Haltung immer mehr die Sorge. Politiker aller Parteien betonen, dass die Bundeswehr eine "Parlamentsarmee" sei, ihre Einsätze im Ausland explizit vom Deutschen Bundestag genehmigt werden müssen und die Abgeordneten daher uneingeschränkten Zugang zu den Soldaten brauchen.

Druck macht vor allem die SPD. Die rote Bundestagsfraktion hat eine Resolution beschlossen, in der die Regierung aufgefordert wird, "unverzüglich die Verlegung" der Soldaten einzuleiten. Erwogen wird eine Stationierung in Jordanien. "Wir können uns von Herrn Erdogan nicht auf der Nase herumtanzen lassen", sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. "Irgendwann müssen wir schon das Signal setzen." Für SPD-Chef Martin Schulz erklärt: "Incirlik muss so beantwortet werden, dass wir die Soldaten abziehen."

Außenminister Gabriel allerdings zögert noch, er will die Gespräche bei seinem Türkeibesuch am Montag abwarten. Dieser Meinung ist auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie erklärte: "Jetzt sollen noch einmal Gespräche geführt werden."

Auch die Unions-Fraktion im Bundestag bremst. Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) meint, es gebe "keinen Grund zur Eile". Denn: Ein Abzug könnte ohnehin nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen, sondern würde Monate dauern. Die SPD kann sich auch einen Kompromiss vorstellen: Abzug sofort beginnen, doch wenn die Türkei einlenkt, wird die Truppenverlegung gestoppt.

Foto: Reuters/Bektas

B I L D U N T E R S C H R I F T: Ein deutscher Tornado landet am Luftwaffenstützpunkt Incirlik.

(Markus Bernath Birgit Baumann, 1.6.2017)