Richard Ferrand war der erste Abgeordnete, der sich Macrons Bewegung En Marche anschloss, nun leitete die Justiz Vorermittlungen gegen ihn ein.

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Man kann es ihm nachfühlen. Da erreichte Richard Ferrand endlich, was er sein langes Berufs- und Politleben lang angestrebt hatte: Als Arbeitersohn aus der Provinz, das heißt ziemlich weit unten in der französischen Gesellschaftshierarchie, hatte er sich Schritt für Schritt, Stufe um Stufe hochgearbeitet – vom Gelegenheitsjobber zum Journalisten, dann vom Grafikunternehmer zum Leiter einer privaten Krankenversicherung. Und schließlich vom kleinen Departementsrat zum sozialistischen Abgeordneten der Nationalversammlung. Dort saß er seit 2012, allerdings als Hinterbänkler, der es nicht recht ins Rampenlicht der Pariser Medien schaffen wollte. Also nahm Ferrand seinen ganzen Mut zusammen, sagte den Sozialisten Adieu und lief zum eben erst aufgehenden Stern der französischen Politik über – Emmanuel Macron.

Ferrand war einer der Ersten überhaupt, die das politische Potenzial des parteilosen Wirtschaftsministers erkannten, und er war der erste Abgeordnete, der sich Macrons Bewegung En Marche anschloss; folgerichtig wurde er deren Generalsekretär. Das war aber noch nicht Belohnung genug, schließlich hatte Ferrand die ganze Absetzbewegung auf der gemäßigten Linken wie Rechten erst ins Rollen gebracht. Also machte ihn Macron auch zu seinem Minister für Wohnbau, Städteentwicklung und Raumplanung. Ferrand war plötzlich einer der mächtigsten Männer im Land, und man sah es ihm an: Er war sich dessen bewusst, er genoss seinen Triumph nach über dreißigjähriger Aufbauarbeit.

Ja, man kann ihm die Frustration nachfühlen: Denn nach bloß zwei Wochen im Ministeramt ist Ferrand zum Buhmann der Nation geworden. Er soll mehrfach private und persönliche Interessen vermengt und verwechselt haben, berichtete das Magazin "Le Canard enchaîné", das bekanntlich schon Präsidentschaftsfavoriten wie François Fillon zu Fall gebracht hatte. Ferrand stellte ebenfalls seinen Sohn als Parlamentsassistenten an, und seiner Ex-Partnerin verhalf er zu einem Immobiliendeal mit der von ihm geleiteten Krankenversicherung – und damit zu einem sechsstelligen Euro-Betrag.

Jetzt ist Ferrand nur noch ein Klotz an Macrons Bein. Und ein erster politischer Testfall für den Staatschef: Wird er seinen treuen Weggefährten, dem er so viel verdankt, stützen oder stürzen? Auf dem Spiel steht für Ferrand nichts weniger als sein Lebenswerk. (Stefan Brändle, 1.6.2017)