Graz – Die Geschworenen blicken mit weiten Augen starr auf die vor ihnen stehenden Bildschirme. Was sie hier in diesem Gerichtsvideo von diesem Buben, dem Sohn des angeklagten Ehepaares, das nach Syrien ausgewandert war, zu hören bekommen, wird sie wohl noch tagelang beschäftigen.

Nail (Name von der Redaktion geändert) war damals, 2014, sieben Jahre alt, als er an die Kreuzung in der Nähe der neuen Wohnung in Raqqa kommt. Er ist auf dem Heimweg von der Moschee, wie immer in der einen Jackentasche die Pistole, in der anderen eine Handgranate. Diese habe ihm "für den Notfall" sein Papa mitgegeben, der in der Steiermark die Jagdprüfung abgelegt hatte.

Wenige Monate zuvor spielte Nail mit seinen vier Geschwistern noch im Grünen. Die streng gläubigen Eltern hatten in der Nähe von Graz ein Häuschen am Waldrand, im Garten einen Whirlpool. "Wir fühlen uns hier so wohl, wir wünschen, dass wir unser Leben hier weiter leben können", sagte die Mutter einmal zur Schwägerin, als diese zu Besuch kam.

Schnitt. Und dann, wenige Zeit später, findet sich Nail an dieser Straßenkreuzung, mitten in der syrischen IS-Stadt Raqqa wieder, wohin seine Eltern mit den Geschwistern und befreundeten Ehepaaren hingezogen waren, um sich dem IS anzuschließen – wofür sie sich in diesen Tagen in Graz unter anderem vor Gericht verantworten müssen.

Der Kleine hat, eher er zum Kreisverkehr kommt, in der Moschee ein Video gesehen: "Wie man den Kopf abschlachtet", erzählt er. Ein Video, wie er es schon daheim in der Steiermark mit seinen Eltern angeschaut habe. Und mit einem Mal war die Fiktion Realität. "Da haben sie einen von der PKK gefangen, die Hände hinten am Rücken gefesselt, und dann haben sie mit dem Schlachten angefangen. Ich hab das genau gesehen", sagt Nail und fährt sich, wie Kinder es machen, wenn sie etwas erzählen, unruhig durchs Haar.

"So geht Schlachten"

"Der Mann in der Mitte", fährt er fort, "hat die Menschen, die herumstanden, gefragt, wer will ihn schlachten? Fast alle haben aufgezeigt. Dann hat er einen ausgesucht, und der hat angefangen zu schlachten. Man zieht an den Haaren, und dann schlachtet man den Kopf ab. So geht das", erläutert Nail jetzt mit ernster Stimme, so als halte er ein Schulreferat.

Der Mann habe noch gerufen "Gib mir noch eine Minute" – so viel Arabisch habe er bereits gekonnt, dass er das verstehen konnte, sagt Nail, "aber der Mann hat schon angefangen zu schlachten und nicht mehr auf ihn gehört. Dann habe ich gesehen, wie der Kopf runtergefallen ist. Den Körper haben sie auf einen Jeep hinaufgetan und den Kopf nachgeschmissen und irgendwo auf den Müll geworfen." Dann ist Nail nach Hause gegangen.

"Und?", fragt die Polizeipsychologin im Video vorsichtig nach, "konntest du danach schlafen?" – "Ja, ganz normal, es war schon grauslich, aber man vergisst es oder versucht zu schlafen."

Nail kennt sich mittlerweile auch gut mit Autobomben aus: "Männer tun in Lastwagen Gasflaschen und TNT-Sprengstoffe und eine blaue Schnur und Granaten. Dann fahren sie, wohin sie fahren müssen, und ziehen an der Schnur. Dann explodiert das ganze Auto. Das geht mit Auto, Panzer und Lastwagen."

"Das Auffällige an den Kindern ist das Unauffällige", sagt ein Betreuer des Grazer Jugendamts im Zeugenstand. Die Kinder zeigten bei der Rückkehr aus Syrien "keinerlei Auffälligkeiten, sie haben nichts Negatives über ihre Eltern berichtet", sagt der Betreuer, "aber es ist nicht auszuschließen, dass sich später die traumatischen Erlebnisse äußern können." (Walter Müller, 1.6.2017)