Auch in peripheren Lagen, etwa in Grenzregionen (im Bild: Retz), soll es weiterhin geförderten Wohnbau geben, sagt der Wohnbaulandesrat.

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Karl Wilfing: "Wenn man nur den Ankauf alter Häuser fördert, versickert das."

Der niederösterreichische Landesrat Karl Wilfing (ÖVP) ist schon etwas länger für den Verkehr und seit kurzem auch für den Wohnbau zuständig. Hier will er weiter auch in peripheren Lagen gefördert bauen lassen, "damit die Gemeinden junge Menschen davon begeistern können, dort wohnhaft zu bleiben". Man müsse sich aber "natürlich" sehr genau anschauen, ob es dafür überhaupt Bedarf gibt, und wie es mit dem Leerstand in der jeweiligen Region aussieht. Grundsätzlich ist er "stolz darauf, dass wir in 512 von 573 Gemeinden geförderten Wohnbau haben", räumt aber ein, dass manches "die Raumordnung aus ihrer rein theoretischen Sicht etwas kritischer sieht".

Mit dem STANDARD sprach Wilfing außerdem auch über die Themen Baulandmobilisierung, Eigentumsförderung und Ortskernbelebung.

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STANDARD: Sie sind seit wenigen Wochen Wohnbaulandesrat. Ihre Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner, die jetzige Landeshauptfrau, hatte den Job auch nur kurz inne, für ein Jahr. Wäre es nicht besser gewesen, man hätte gleich Sie als Wohnbaulandesrat installiert?

Wilfing: Die niederösterreichische Wohnbauförderpolitik wird zwar von dem jeweiligen Landesrat natürlich mitentschieden, ist grundsätzlich aber ein bewährtes System, das auch in den letzten Jahren schon hervorragend gestaltet wurde. Mikl-Leitner hat ein paar wichtige Mosaiksteine gesetzt, etwa beim Thema Sicheres Wohnen, oder auch zur Frage des Eigentums. Wir wollen auch im gemeinnützigen Wohnbau in NÖ jetzt stärker den Fokus auf das Eigentum legen. Weil ich denke, dass es eine Frage des Selbstwertgefühls ist, selbst etwas zu besitzen und nicht im "fremden" Eigentum zu wohnen. Zum anderen ist das auch hinsichtlich der Altersarmut einer der wesentlichen Faktoren. Und bei uns ist das Eigentum schließlich immer noch die preiswerteste Wohnform.

STANDARD: Nun steht die Verländerung des Wohnbauförderbeitrags an. Gibt es da schon etwas zu berichten?

Wilfing: Wir warten auf den Bund. Es wurde ja zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass bis zum Sommer bundesgesetzlich die Rahmenbedingungen geschaffen werden, und die Länder darauf aufgesetzt im Herbst ihre Regelungen schaffen. Und an sich ist das bei uns im Finanzressort beheimatet.

STANDARD: Sie reden da also gar nicht mit?

Wilfing: Bei den Tarifen reden wir als Wohnbauressort natürlich schon mit, weil wir es ja sind, die die Mittel verwenden. Der Tarif kann sich künftig ändern, das ist dann landesgesetzliche Hoheit. Derzeit ist bei uns aber nicht daran gedacht. Wir geben jedes Jahr mehr als 500 Millionen Euro für den Wohnbau aus. Da sind wir sogar noch vor Wien – was interessant ist, denn man müsste ja annehmen, dass Wien mehr Wohnungen baut als Niederösterreich. Hier hat Wien noch großen Aufholbedarf.

STANDARD: Jetzt ist es aber so, dass es in Niederösterreich auch in fast jeder kleinen Gemeinde schon geförderten Wohnbau gibt. Wohnbauforscher Wolfgang Amann empfiehlt dem Land deshalb ganz klar, dieses Bauprogramm im ländlichen Raum als abgeschlossen zu betrachten. Mehr als 900 geförderte Wohnungen stehen im ganzen Land leer, das sind Kosten für die Gemeinnützigen.

Wilfing: Da sind aber auch die Projekte mitgezählt, die in nächster Zeit fertig werden und bei denen man sich schon anmelden kann.

STANDARD: Aber es kann schon mal auch Jahre dauern, bis ein Projekt in einer kleinen Gemeinde komplett vergeben ist, hört man von Genossenschaften.

Wilfing: Lassen wir die Kirche im Dorf: Wir haben 156.000 von Gemeinnützigen errichtete Wohnungen im Land, davon sind 900 frei. Das schreckt mich nicht. Ich muss sagen, das ist so wie am Arbeitsmarkt, da wird’s auch immer eine Sockelarbeitslosigkeit geben. Natürlich müssen wir uns sehr bewusst anschauen, wo es in Zukunft geförderten Wohnbau geben soll. Wir sehen uns schon jetzt bei jeder Förderung an, welchen Leerstand es in der jeweiligen Region gibt. Das ist meine Verantwortung: Sparsam, effizient, wirtschaftlich mit den öffentlichen Mitteln umzugehen. Diese Frage muss man außerdem auch regionalpolitisch sehen. Natürlich haben wir im Wiener Umland kaum Leerstand, sondern eher in den peripheren Gebieten. Aber auch dort wollen wir Wohnbau weiterhin zulassen, damit die Gemeinden junge Menschen davon begeistern können, dort wohnhaft zu bleiben.

STANDARD: Aber wie sinnvoll ist das auch aus Ihrer Sicht als Verkehrslandesrat, die Leute in der Region zu halten, wenn die dann erst recht mit dem Auto zum Arbeitsplatz pendeln müssen?

Wilfing: Wenn man das Mobilitätskonzept NÖ ansieht, so haben wir Hauptverkehrsadern, das sind die Bahnen. Die Busdienste richten wir danach aus, diese Hauptverkehrsadern zu bedienen. Das funktioniert sehr gut, und da sehe ich auch meine Aufgabe in Zukunft.

STANDARD: Auch als Wohnbau-, oder nur als Verkehrslandesrat?

Wilfing: Als beides. Denn sonst darf ich ja nur noch im Wiener Umland jemanden wohnen lassen, und den Rest des Landes zusperren.

STANDARD: Nicht nur im Wiener Umland, aber beispielsweise in den größeren Ballungsräumen.

Wilfing: Und die restlichen Bezirke sperre ich zu, oder wie?

STANDARD: Nein, aber wenn man dort keinen Bedarf hat, muss man ja nicht neu bauen.

Wilfing: Den Bedarf muss es natürlich geben! Wir bauen nicht nach dem Motto "Ihr Kinderlein, kommet!" Denn eine Wohnbaugenossenschaft hat ja auch – wie Sie richtig gesagt haben – Kosten, wenn etwas leersteht. Wenn eine Genossenschaft in einem peripheren Gebiet – das kann im hinteren Erlauftal genauso sein wie in einer Grenzregion – von einem Bürgermeister ersucht wird, eine Anlage zu errichten, dann wird auch die Genossenschaft zuerst einmal genau erheben, wie die Nachfrage ist, ob es Vormerklisten gibt, und was die Erwartungshaltungen der Leute sind. Und wenn es genug Nachfrage gibt, wird gebaut werden. Wenn nicht, wird man es nicht riskieren. Das wäre ja unsinnig.

STANDARD: In den Ballungsräumen gibt es wiederum das Problem stark steigender Grundstückspreise. Was tun?

Wilfing: Nicht nur in den Ballungsräumen. Auch am Land steigen die Grundpreise. Ich bin in Poysdorf daheim, da hatten wir in den letzten Jahren eine Verzehnfachung.

STANDARD: Wegen der Nordautobahn?

Wilfing: Wegen der niedrigen Zinsen, hauptsächlich. Jeder will in Grund und Boden anlegen. Aber keiner will verkaufen, also steigen die Preise noch mehr. Was das Wiener Umland betrifft, macht es natürlich Sinn, sich mit dem Wiener Wohnbaustadtrat zusammenzusetzen und unsere Schwerpunkte abzugleichen. Ich habe das auch vor. Man muss aber dazusagen: Wenn man die Menschen befragt, warum sie nach Niederösterreich ziehen, dann hatte das bisher meist zwei Ursachen: Weil es hier günstiger ist, und weil es grüner ist. Wir sehen das auch als Lob. Was noch dazukommt, warum wir gerade so stark wachsen: Wenn Sie von St. Pölten schneller im Wiener Zentrum sind als 75 Prozent der Wiener selbst, dann hat das natürlich eine Sogwirkung. Ich habe beispielsweise kürzlich ein junges Ehepaar bei einer Wohnungsübergabe in Judenau kennengelernt. Das waren Mühlviertler, die bisher in Linz gewohnt haben, nun aber in Wien und Linz arbeiten. Sie haben sich die Frage gestellt, von wo sie mit den Öffis gleich schnell anreisen können. Es stelllte sich heraus, dass das beim Bahnhof Tullnerfeld ist. Das kommt also dazu. Und natürlich, dass in Wien zu wenig Angebot geschaffen wird – da brauchen Sie nur mit den Genossenschaften reden.

STANDARD: Das ist ein gutes Stichwort: Gerade den Bahnhof Tullnerfeld halten sehr viele Raumordnungsexperten für einen Riesenfehler. Man hätte dort eine ganze Stadt hinbauen sollen, nicht nur Reihenhäuser. Wie sehen Sie als Verkehrslandesrat das?

Wilfing: Ja, sogenannte "Experten" meinen, dass der Bahnhof Tullnerfeld der größte Mobilitätsfehler in der Geschichte Österreich sei, weil dort nie wer ein- und aussteigen wird. Mittlerweile haben wir dort 4000 Ein- und Aussteiger pro Tag.

STANDARD: Wenn die aber alle erst recht mit dem Auto dort hinfahren müssen? Aus Judenau und Umgebung?

Wilfing: 2011 ist der neue Bahnhof in Betrieb gegangen, ab 2012 hatten wir ein Buskonzept. Die, die das wollen, haben die Möglichkeit, mit dem Bus hinzufahren. Viele fahren natürlich auch weiterhin mit dem Auto hin. Übrigens: Wenn Sie von Poysdorf nach Salzburg fahren – wissen Sie, wo Sie am besten in den Zug einsteigen? In Tullnerfeld! Auch Leute, die eine längere Flugreise machen, lassen ihr Auto gerne dort stehen, weil "Park & Ride" in Niederösterreich – als Förderung des öffentlichen Verkehrs – kostenlos ist.

STANDARD: Vielleicht muss man die Frage auch umgekehrt stellen: Welche Handhabe hatten Sie denn als Land überhaupt, dort mitzureden? Die Flächenwidmung wird ja von den Gemeinden beschlossen.

Wilfing: Das Antragsrecht liegt bei der Gemeinde, keine Frage. Aber das Land muss prüfen, ob alle Gesetze und Verordnungen eingehalten wurden, und kann die Widmung auch untersagen. Nicht mutwillig, das stimmt schon. Aber die Gemeinde ist eben nicht die letzte Instanz.

STANDARD: In Ebreichsdorf soll nun auch ein Bahnhof ins Niemandsland gebaut werden, da sind Raumordnungsexperten der TU Wien involviert, die ein zweites Tullnerfeld verhindern wollen.

Wilfing: Ja, das sind die gleichen Experten, die ganze Bezirke absiedeln wollen, weil sie der Meinung sind, dass da in Zukunft eh keine Menschen mehr leben sollen. Einzelne Regionen nicht mehr so zu versorgen wie bisher, ist eine sehr schwierige Entscheidung. Aus meiner Sicht ist das immer noch das Recht der Menschen, dort zu wohnen wo sie sich zu Hause fühlen. Wir sind deshalb als Land NÖ bestrebt, für alle Regionen annähernd gleiche Lebenschancen zu lukrieren. Das gelingt ohnehin nicht immer zu hundert Prozent, das sage ich ganz offen. Aber gerade beim Wohnbau sind wir stolz darauf, dass wir in 512 von 573 Gemeinden geförderten Wohnbau haben. Weil wir den Menschen die Chance geben wollen, bei sich zu Hause leben zu können, und auch deren Enkelkindern noch. Das sieht die Raumordnung aus ihrer rein theoretischen Sicht etwas kritischer.

STANDARD: Die Grundstückspreise steigen, Baulandhortung ist wie Sie schon gesagt haben ein großes Thema. Wie können Sie Bauland mobilisieren?

Wilfing: Wir denken darüber nach, inwieweit wir mit den Gemeinden gemeinsam gewisse Baulandreserven zeitgerecht anlegen. Wenn also etwas frei wird und die Gemeinde nicht die verfügbaren Mittel hat, dass wir da einspringen. Da werden wir stärker als bisher präventiv in die Zukunft blicken müssen. Entscheidend wird auch sein, dass wir nach den "Regeln der Technik" bauen, wie wir das in der Bauordnung stehen haben, und nicht nach dem "Stand der Technik". Denn das ist gut gemeint, verteuert den Wohnbau aber sehr. Stichwort überschüssige Stellplatzverpflichtungen: Bei einer 30-m²-Wohnung brauche ich nicht zwei Stellplätze vorschreiben. Es gibt also viele Rädchen, wo wir weiterdrehen müssen.

STANDARD: Bei den Stellplätzen haben Sie aber auch sehr wenig Handhabe, nicht? Das ist Gemeindesache.

Wilfing: Genau. Allerdings: Wenn ein Bürgermeister bei einem Bauvorhaben zwei Stellplätze pro Wohnung vorschreibt, und das lässt sich dann nur mit Tiefgarage realisieren, was die Wohnungen extrem verteuert, dann wird er das zumindest gut erklären müssen. Und ja, leistbarer Wohnraum ist nicht die Sache des Landes alleine.

STANDARD: Bereits gewidmetes Bauland würde es in NÖ genug geben, oder?

Wilfing: Ganz generell kann man das so beantworten, ja. Im Einzelnen wird es wohl auch Gemeinden geben, die zu wenig haben. Aber ja, in den einzelnen Regionen ist oft sehr viel gewidmet.

STANDARD: Sie haben kürzlich ein Programm zur Ortskernbelebung gestartet: Man bekommt ein höheres Darlehen, wenn man im Ortskern baut, konkret in Siedlungen, die in den 1960er-Jahren schon bestanden haben …

Wilfing: Ja, und das gilt auch für den Ankauf von alten Häusern, wenn die Käufer innerhalb eines Jahres eine energetische Verbesserung vornehmen. Wir machen das deshalb vom Energiebedarf abhängig, weil die Förderung sonst unserer Erfahrung nach in den Taschen der Abgeber verschwindet, würde man nur den Ankauf fördern.

STANDARD: Leerstehende Einfamilienhäuser gäbe es sehr viele in Niederösterreich …

Wilfing: … in den ländlicheren Regionen, ja. Dort, wo die Bevölkerungszahl gleich bleibt oder sinkt.

STANDARD: Haben Sie genaue Zahlen?

Wilfing: Nein. Ich selber lebe aber in Wetzelsdorf, ein Dorf mit 240 Häusern. Wir haben dort im Wirtshaus einmal versucht, aufzuzählen, welche Häuser in den nächsten 20 Jahren wohl frei werden. Da sind wir so auf 45 Häuser gekommen. Das ist eine ganze Menge. Umgekehrt glaubt man aber gar nicht, wieviele von denen dann in kürzester Zeit wieder vergeben werden. Manche werden natürlich zurückgehalten, für Kinder, oder als Stauraum. Gerade Migrantenfamilien kaufen solche Häuser auch oft und bringen sie wieder in Schuss. Außerdem machen da die Gemeinden mittlerweile recht viel. In meiner Gemeinde haben wir damals für den Abbruch alter Häuser 6000 Euro an Förderung vergeben. Weil wir gesehen haben, dass es der Gemeinde viel kostet, neue Siedlungen zu erschließen. Da zahlt man lieber was für den Abbruch dazu, und muss nicht neu erschließen. Man kann aber eben nicht den Ankauf fördern, das versickert oft. Die Verkäufer schlagen das gleich auf den Preis drauf. Ich fördere als Gemeinde gerne den Abbruch, aber sicher nicht den Ankauf.

STANDARD: Wieviele Gemeinden machen das? Haben Sie da einen Überblick?

Wilfing: Nein. Aber viele. Denn wenn das eine Gemeinde macht, spricht sich das herum, und das wird zum Wettbewerbsfaktor. Wenn die Gemeinde A das macht, und jemand erfährt das, dann geht der auch in der Gemeinde B zum Bürgermeister und fragt, ob er das nicht auch haben kann. (Martin Putschögl, 4.6.2017)