Die Vertrauenskrise zwischen Medien und Öffentlichkeit ist evident. Gehen beide Seiten nicht aufeinander zu, riskieren wir eine Krise der Demokratie. Damit es nicht so weit kommt, müssen wir uns von der "Illusion Wahrheit" verabschieden.

Wenn der US-amerikanische Präsident vor sich hin wettert, sind wieder "Fake-News" und "Lügenpresse" in aller Munde. Und hier in Europa glauben so manche, bei uns wäre es besser. Als wäre dieses Phänomen verursacht von ein paar wenigen irrlichternden Rechten ... In Wahrheit ist die Haltung dahinter schon längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Genau da ist die Wut auf die "gemeine" Berichterstattung mittlerweile halt-, die Verachtung für kritischen Journalismus zum Teil grenzenlos. Selbst wenn die Fakten stimmen, sollen sie sich nicht gegen einen wenden dürfen. An Trump mag man den Stil nicht; seine Haltung teilt man längst.

Auf der anderen Seite stehen aber die Medienhäuser und der Journalismus im Allgemeinen vor Herausforderungen, die sie nicht einfach auf die "ungerechte" Öffentlichkeit abwälzen können. Noch immer ist nicht verkraftet, dass die Mittlerrolle durch das Internet und seine neuen Medienkanäle weggefallen ist. Noch immer ringt man mit dem vermeintlichen Verlust des Status als "vierten Macht". Und noch immer sprechen wir mehr über das Geschäftsmodell Medien als über ihre Kernleistung, den Journalismus.

Im Zentrum der Vertrauenskrise steht die Frage nach der Wahrheit – nach derjenigen, die einem gefällt, der gefühlten Wahrheit also. Und genau hier liegt der Kern des Missverständnisses zwischen Öffentlichkeit und Medien. Der Philosoph und Physiker Heinz von Foerster hat es so schön auf den Punkt gebracht: "Die Wahrheit ist eine Erfindung des Lügners." Denn wer die Debatte über die richtige Wahrheit, alternative Wahrheiten, ja über die wahrste Wahrheit führt, schafft nur eines: wechselseitiges Misstrauen. So verlassen wir den gemeinsamen Echoraum. Ich halte es ganz mit von Foerster, der proklamiert: "Ich will aus der gesamten Diskussion über Wahrheit und Lüge, Subjektivität und Objektivität aussteigen. Diese Kategorien stören die Beziehungen von Mensch zu Mensch, sie erzeugen ein Klima, in dem andere überredet, bekehrt und gezwungen werden. Es entsteht Feindschaft." Wie kann aber ohne Wahrheitsanspruch überhaupt noch Journalismus funktionieren, wie die öffentliche Debatte geführt werden? Welchen Beitrag wiederum muss die Gesellschaft leisten?

Unternehmen wie Politik, die sich nicht mehr der Kraft der unabhängigen Berichterstattung aussetzen wollen, werden unglaubwürdig. Wer versucht, ausschließlich über eigene oder zumindest kontrollierte Kanäle Information zu transportieren, wer eigene Wahrheiten erschafft und die Realität beschönigt – Stichwort Content-Marketing – wird in Zeiten der Krise allein dastehen. Denn nehmen wir an, es geht mal was schief und keiner vertraut mehr der vermeintlich "objektiven" Plattform des Absenders? Wer sich also immer im höchsten Maße selbst kontrolliert darstellt und nicht kritischen Checks und Balances aussetzt, riskiert mittelfristig den totalen Glaubwürdigkeitsverlust. Wir wissen: Wer nur einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Wenn wiederum der Journalismus als Produzent von selektiver Wahrheit wahrgenommen wird, ja als Kränkungsmaschinerie verstanden wird, dann ist Feuer am Dach. Dann müssen wir darüber diskutieren, ob es nicht eine neue und konsequente Trennschärfe von Fakten, Analyse, Meinungen und Gerüchten braucht. Fakten müssen unbedingt belastbar sein, die Analyse nachvollziehbar, die Meinung scharf abgetrennt und das Gerücht als solches eindeutig deklariert sein.

Wer glaubt, weiß noch lange nicht. So beschäftigt sich die US-amerikanische Wissenschaftsforschung zurzeit intensiv mit dem Phänomen der Voreingenommenheit (Bias). Denn Bildung und Wissen schützen vor Vorurteilen nicht, im Gegenteil: Ein hoher Kenntnisstand verstärkt diese sogar. Welche Konsequenz hat das für den Journalismus? Möglicherweise brauchen wir neue Systeme, in denen der recherchierende Journalist und der Interpret noch stärker voneinander getrennt arbeiten – und in denen Faktenlagen ähnlich jenen in der seriösen Meinungsforschung automatisch zugänglich gemacht werden. Nicht als Zeichen des Misstrauens, sondern als auch kurzfristig gangbarer Weg zur Wiedererlangung von Vertrauen.

Wir brauchen die Verleger!

In den großen Diskussionsrunden der Verlags- und Medienmanager kommt ein Wort viel zu selten über die Lippen der Verantwortlichen: "Journalismus". Man spricht über Werbeumsätze und neue Geschäftsmodelle. Die RTL-Gruppe berichtet über Umsatzzuwächse – dank des Zukaufs des Partnerportals Parship. Kann es sein, dass das Management der Medienhäuser ihre Aufmerksamkeit dem "alten" Kernprodukt Journalismus nicht mehr ausreichend widmen kann, sondern aufgrund der ökonomischen Krise zu stark von neuen Geschäftsmodellen gefordert wird? So verständlich dieser Zugang, so dramatisch ist er für den Kern ihrer Existenz.

Die öffentliche Debatte braucht wieder Vertrauen. In einer Kritik-zugänglichen Gesellschaft, mit einem geschärften und gestärkten Journalismus, kann das gelingen. Der gemeinsame Echoraum ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Denn wo das wechselseitige Vertrauen in die Faktenlage nicht mehr gegeben ist. Wo Wahrheit als Mogelpackung verkauft wird, und keiner keinem mehr vertraut. Wo Journalismus als Träger von Gesinnung und Eigeninteressen gesehen wird. Dort ist Feuer am Dach. Weil wir dort angelangt sind, lasst uns "die" Wahrheit abschaffen. (Johannes Vetter, 2.6.2017)