Cambridge – Die derzeitigen Toleranzwerte für die Bleibelastung der Luft dürften zu hoch angesetzt sein: Sie würden nämlich auf einer falschen Prämisse beruhen. Zu diesem Schluss kommen US-Forscher, nachdem sie sich dem Thema von der historischen Seite genähert haben.

Der Denkfehler, auf den die Forscher der Harvard University und der University of Maine im Fachjournal "GeoHealth" hinweisen, liege darin, die gesundheitspolitisch noch zulässigen Bleikonzentrationen an präindustriellen Werten festzumachen. Doch hätten sie nun herausgefunden, dass der atmosphärische Bleigehalt in Europa schon lange vor dem 18. und 19. Jahrhundert kein natürlicher mehr war. Dafür hätten Abbau und Verhüttung des Schwermetalls gesorgt.

Das Untersuchungsobjekt

Die Forscher studierten einen Eisbohrkern, der aus einem Gletscher im Grenzgebiet zwischen Italien und der Schweiz entnommen worden war. Im Eis war der Bleianteil der Luft über Jahrtausende hinweg dokumentiert. Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Über die vergangenen zwei Jahrtausende hinweg sei die Luft in Europa fast durchgehend mit Bleikonzentrationen belastet gewesen, die nicht dem natürlichen Wert entsprechen.

Das wichtigste Indiz dafür ist ein vierjähriger Einbruch der Werte in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dieser deckt sich zeitlich exakt mit der katastrophalen Pestpandemie, die unseren Kontinent damals heimsuchte und die Bevölkerung dezimierte. Aufzeichnungen belegen laut dem Historiker Alexander More von der Harvard-Universität, dass damals auch der Bergbau in der Region zum Erliegen kam.

Der Bohrkern zeigte auch einige kleinere Dellen – die jüngste davon in den 1970er Jahren, als neue Umweltschutzgesetze den Bleigehalt in der Luft reduzierten. Aber keine dieser punktuellen Verringerungen reichte an die Werte aus den Jahren des Schwarzen Todes heran. Die aber sind es, an denen man sich laut der Studie eigentlich orientieren müsste. Denn der natürliche Bleigehalt sei, wie man nun wisse, "im Grunde genommen null". (red, 6. 6. 2017)