Was gegen die Angst vor Handystrahlung hilft? Gute Studien.

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Verena Ahne bloggt für derStandard.at regelmäßig über das Ringen um gesicherte Erkenntnisse in Medizin und Gesundheitswesen.

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Kleine Kunststoff-Aufkleber für Handys und andere elektronische Geräte sollen angeblich "Magnetfeldspitzen" beim Handyfonieren "glätten". Sie sollen damit zu mehr Wohlbefinden beitragen können. Kürzlich haben wir bei Medizin-transparent.at einen Artikel zu "Waveex" veröffentlicht. Unsere Beurteilung dieses und vergleichbarer Produkte fiel anders aus. Nicht eben zur Freude der Hersteller.

Die warfen uns vor, wir hätten schlampig gearbeitet und wichtige Details nicht beachtet, sonst hätte unsere Einschätzung anders ausfallen müssen. Ähnliche Anmerkungen hören wir immer wieder: Zu Thema XY habe es doch gerade eine große Studie gegeben – offensichtlich hätten wir da etwas übersehen…

Von der Suche bis zum Artikel

Ich verstehe gut, dass die Auswahl der Studien, die wir in unseren Beiträgen bearbeiten, von außen betrachtet willkürlich oder verkürzt erscheinen mag – mir ging es so ähnlich, bevor ich in Krems angeheuert habe.

Aber: Der Eindruck trügt. Die Arbeiten, die es in einen Medizin-transparent-Artikel schaffen, sind das Endprodukt eines langen, akribischen und mehrstufigen Auswahlprozesses. Wir orientieren uns dabei unter anderem an den Kriterien einer "guten Gesundheitsinformation" – die Details der Vorgehensweise fasst mein Kollege gerade zu einem Methodenpapier zusammen, das bald online gestellt werden soll.

Wie aufwendig der ganze Prozess sein kann, wird beim Lesen der Artikel kaum deutlich. Deshalb heute ein Blick hinter die Kulissen: Wie kommen wir zu unseren Ergebnissen?

Schritt eins: richtig fragen

Am Anfang steht immer eine Frage. Klingt banal, ist es nicht. Suchen wir in den Datenbanken nach Begriffen wie Waveex, Gabriel-Chip oder anderen Handyaufkleber-Eigennamen: Null Treffer. Viele tausend Ergebnisse hingegen bringt die Suche nach "Gesundheitsauswirkungen elektromagnetischer Strahlung" in all ihren (englischen) Varianten. Je nachdem, worauf der Fokus der Frage liegt, fällt das Suchergebnis also anders aus.

Ist die Frage zu allgemein formuliert – zum Beispiel "Handystrahlen" –, erhalten wir viel zu viele Treffer. Unter anderem laufen wir dann Gefahr, uns und unsere Zeit im Dschungel zwar spannender, aber vom eigentlichen Thema wegführender Arbeiten zu verlieren – auch wenn das ab und an zu weiteren Artikeln führen kann. So fanden wir bei den Waveex-Recherchen, dass es auch spannend wäre herauszufinden, was genau "Elektrosensibilität" ist – und haben daraus einen eigenen Beitrag gegossen.

Kurz und knapp statt ausufernd

Schon vor der Suche braucht es also erste Entscheidungen: Um welche Effekte soll es genau gehen? Veränderungen von Zelllinien? Die Gesundheit von Rattenbabys? Gehirntumore?

Wir orientieren uns immer am Nutzen der Zielgruppe: Wer überlegt, ein Pickerl zum Schutz vor Handystrahlen zu kaufen, braucht weniger die Information, wie es dauerbestrahlten Mäusen ergangen ist, als einen Einschätzung, ob so ein Aufkleber einen wissenschaftlich nachweisbaren, nicht nur einen behaupteten Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden hat. Wenn der fehlt – wie wir aufgrund unserer Recherchen annehmen –, ist ein Kauf hinausgeschmissenes Geld.

Viele Suchbegriffe, noch mehr Synonyme

Damit wir unsererseits wissen, wovon wir sprechen, sollten wir die gesamte Studienlage zu einem Thema im Blick haben. Deshalb ist Schritt 1 jeder evidenzbasierten Suche, alle Arbeiten zu finden, die sich mit dieser speziellen Frage je beschäftigt haben. In unserem Beispiel bedeutet das: Wir haben natürlich nicht nur nach Firmennamen gesucht, sondern nach allen denkbaren synonym verwendbaren Begriffen: Handyaufkleber, Handy-Aufkleber, Aufkleber für Handys, Telefonaufkleber, Telefon-Aufkleber, Aufkleber für Smartphones, Schutzkleber für elektronische Geräte, Aufkleber für elektrische Geräte etc.

Zweitens: von der Kunst des Siebens

Das Suchergebnis fällt entsprechend umfangreich aus. Nun wird mehrfach gefiltert. Passen die gefundenen Studien wirklich zur Frage? Sonst weg damit. Der Rest nach dem Aschenputtel-Prinzip: die guten ins Töpfchen, die schlechten in den Papierkorb.

Die Beurteilung der Qualität einer Studie ist eine eigene Wissenschaft – im wahrsten Wortsinn: Damit befasst sich die sogenannte evidenzbasierte Medizin. Das kompetent zu machen, braucht viel Wissen und Erfahrung. Um ein möglichst objektives Ergebnis zu bekommen, setzen wir uns deshalb regelmäßig zusammen, diskutieren unsere Suchstrategie, unsere Einschätzungen und andere heikle Fragen.

Dieser Prozess wird zudem von A bis Z dokumentiert. Einerseits, weil wir bei Nachfragen (oder Schlampigkeitsvorwürfen) klar Stellung beziehen können müssen. Andererseits, damit wir auch selbst in zwei Jahren noch wissen, wie wir damals zu unserer Bewertung gekommen sind.

Qualität, Qualität, Qualität

Leider sind die meisten Studien schlecht – anders kann man es nicht ausdrücken. Deshalb bleiben nach unserem ganzen Rütteln und Sieben in der Regel nur ein paar wenige Arbeiten übrig, die zumindest einige Punkte der ellenlangen Liste an erforderlichen Qualitätskriterien erfüllen. Sie sind das Rückgrat unserer Artikel – die Basis der Bewertungen. Zeichen für Qualität sind zum Beispiel, wenn an einer Studie ausreichend Menschen teilgenommen haben, wenn das Studiendesign gut durchdacht war und alle wichtigen Ergebnisse offen genannt werden.

Sollte eine Lieblingsstudie also in der Literaturliste am Ende unserer Artikel fehlen, ist es am wahrscheinlichsten, dass sie irgendwann entlang dieses Prozesses wegen Qualitätsmängeln rausgeflogen ist. Oder uns ist es trotz größter Sorgfalt tatsächlich passiert, dass wir eine wichtige Arbeit übersehen haben. Das kann immer passieren. Entsprechende Hinweise werden dankbar angenommen und in den Artikel eingearbeitet – vorausgesetzt natürlich, die Qualität stimmt. (Verena Ahne, 8.6.2017)