Totò Riina 1993 während seines Prozesses in Neapel, seitdem sitzt er in Isolationshaft. Auch von dort aus sei er äußerst gefährlich, meinte ein Gericht in Bologna. Der Römer Kassationshof sah das anders.

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Salvatore "Totò" Riina, der frühere "Boss der Bosse" der sizilianischen Cosa Nostra, in mehreren Prozessen zu zwanzig Mal lebenslänglich verurteilt, sitzt seit 1993 in Isolationshaft. Trotz seiner schweren Erkrankung hatte ihm ein Gericht in Bologna im vergangenen Jahr jede Hafterleichterung verweigert: Der heute 86-Jährige könne problemlos im Gefängnis behandelt werden; im Übrigen sei er nach wie vor äußerst gefährlich. Das höchste italienische Gericht, der Kassationshof in Rom, sieht das nun aber anders. Der Entscheid der Vorinstanz sei oberflächlich und widersprüchlich und müsse revidiert werden, urteilten die Kassationsrichter.

Das Recht auf ein würdiges Sterben sei universell, betonte das höchste Gericht Italiens. Und damit gilt es auch, wenn die betroffene Person Totò Riina heißt. Der Kassationshof verwies auf die europäische Menschenrechtskonvention, die eine inhumane und erniedrigende Behandlung von Häftlingen verbietet.

Endgültiges Urteil in Bologna

Man könne nicht einfach argumentieren, dass Riina auch im Gefängnis medizinisch versorgt werde. Es gelte abzuklären, ob durch die strenge Isolationshaft sein Leiden unnötig verschlimmert werde. Außerdem wurde verabsäumt, die tatsächliche Gefährlichkeit Riinas näher zu begründen. Nun müssen die Bologneser Richter entscheiden, ob er freikommen darf, unter Hausarrest gestellt oder in ein Spital gebracht wird.

Riina galt lange als gefährlichster und brutalster Mafiaboss Italiens. Insgesamt hatte "die Bestie", wie Riina genannt wurde, 150 Morde selbst begangen oder in Auftrag gegeben. Seinen ersten Mord hatte er mit 19 Jahren in seinem Heimatdorf Corleone verübt. Nach einer Haftstrafe schoss er sich an die Spitze der "Corleonesi", und zu Beginn der 1980er-Jahre führte er den "großen Mafiakrieg" gegen die Clans von Palermo, die zuvor die Cosa Nostra beherrscht hatten. Allein im Jahr 1982 kamen in dem Konflikt, aus dem Riina als Boss der sizilianischen Mafia hervorging, mehr als 200 Menschen ums Leben.

Killerkommando unterwegs

Riina, der 1969 abgetaucht war und erst 1993 verhaftet werden konnte, eliminierte auch mehrere Ermittler und Staatsanwälte, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Zu den prominentesten Opfern gehörten der Carabinieri-General Carlo Alberto Chiesa, der 1982 zusammen mit seiner Frau und einem Leibwächter von einem Killerkommando förmlich durchsiebt worden war, sowie die beiden Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die 1992 durch ferngezündete Bomben umgebracht wurden.

Der Cosa-Nostra-Boss hatte auch einflussreiche politische Freunde, allen voran den damaligen Bürgermeister von Palermo, Vito Ciancimino. Laut den Aussagen einiger "Pentiti" (reuige Mafiosi) hatte aber auch Ministerpräsident Giulio Andreotti dem Paten die Hand geküsst. Bewiesen werden konnte dies aber nie.

Das Urteil des Kassationshofs, das für Riina die ersehnte Umwandlung von Isolationshaft in Hausarrest zur Folge haben könnte, hat in Italien massive Proteste ausgelöst. "Mein Vater und meine Mutter hatten auch keinen würdevollen Tod. Sie wurden von Riinas Killern einfach niedergemacht", erklärte Rita Dalla Chiesa, die Tochter des ermordeten Carabinieri-Generals.

Todesurteil ausgesprochen

Franco La Torre, dessen Vater Pio im gleichen Jahr umgebracht wurde, betonte, dass eine Hafterleichterung für die Hinterbliebenen nur weiteren Schmerz bedeuten würde. La Torre erinnert daran, dass Riina noch vor kurzem vom Gefängnis aus ein Todesurteil gegen den heutigen Anti-Mafia-Staatsanwalt Nino Di Matteo ausgesprochen habe, womit auch dessen Gefährlichkeit unter Beweis gestellt sei. Das neue Urteil des Bologneser Gerichts wird im Juli erwartet. (Dominik Straub aus Rom, 7.6.2017)