"The Jihadis Next Door" ("Die Jihadisten von nebenan") heißt die Dokumentation des TV-Senders Channel 4, in der Attentäter Khuram Butt (Mitte links) vorkommt.

Foto: Screengrab/Channel 4

"Den Sicherheitsbehörden bekannt." Angesichts schockierender Einzelheiten über die drei islamistischen Attentäter von der London Bridge stand am Dienstag der vorletzte Tag des Unterhaus-Wahlkampfes im Zeichen der Debatte um die innere Sicherheit. Ihre Regierung habe den Geheimdiensten mehr Kompetenzen und Personal zur Verfügung gestellt, sagte Premierministerin Theresa May im mittelenglischen Stoke. Die Sicherheitskräfte würden der Frage nachgehen, warum zwei der Täter auf freiem Fuß sein konnten: "Ich verstehe, dass die Leute sich Sorgen machen." Die oppositionelle Labour Party unter Oppositionsführer Jeremy Corbyn wies auf die anhaltenden Kürzungen im Polizeibudget hin. Dadurch sei das Land unsicherer geworden.

Das Trio islamistischer Gewaltverbrecher hatte Samstagabend zunächst auf der London Bridge mehrere Menschen angefahren, war anschließend mit langen Messern auf Pubbesucher in Borough Market losgegangen. Acht Minuten nach Beginn der Attacke wurden sie von einem Spezialkommando der Polizei erschossen. Außer den drei Tätern wurden sieben Menschen getötet; von den 48 Verletzten wurden am Dienstag noch 15 intensiv behandelt.

Jihadist als TV-Star

Während noch immer nicht alle Toten zweifelsfrei identifiziert sind, begann eine heftige Debatte über deren Mörder. Zwei Tage lang hatten sich die Londoner Zeitungen an die Bitte Scotland Yards gehalten, die Namen der Täter noch nicht zu nennen. Am Dienstag formulierten sie auf den Titelseiten bohrende Fragen an Sicherheitsbehörden und Politik. "Wie konnte er davonkommen, verdammt noch mal", schrieb der Daily Mirror neben einem Foto des 27-jährigen Khuram Butt. Auf dessen Rolle als einer der Stars in einer TV-Dokumentation über die "Jihadisten von nebenan" wies The Sun hin. Und The Times verwies darauf, Butt habe im Fitness-Studio eines bekannten Al-Kaida-Propagandisten gearbeitet.

Über Butt wussten Polizei und Geheimdienst tatsächlich sehr viel. Der in Pakistan geborene Mann gehörte zu den Anhängern des bekannten, mittlerweile inhaftierten Hasspredigers Anjem Choudary und dessen längst verbotener Islamistengruppe Al-Muhajiroun. Aus einer Moschee in Barking war der junge Mann herausgeflogen, nachdem er im Vorfeld der Unterhauswahl 2015 demokratische Wahlen als "unislamisch" denunziert hatte.

Mehrfach gemeldet

Unabhängig voneinander meldeten sich im gleichen Jahr zwei Nachbarn des Vaters zweier kleiner Kinder bei der Terror-Hotline der Behörden, um ihrer Sorge über Butt Ausdruck zu verleihen. Daraufhin sei der Islamist einer Überprüfung unterzogen worden, berichtete der zuständige Abteilungsleiter bei Scotland Yard, Mark Rowley. "Aber es gab keine Hinweise auf eine geplante Attacke." Butt blieb auf freiem Fuß und agierte in dem Dokumentarfilm des Minderheitensenders Channel 4.

Trotz dieser Prominenz als fanatischer Islamist wurde er später als Trainee bei der Londoner U-Bahn angestellt. Zu seinen Aufgaben gehörte dort auch die Sicherheit von Passagieren in Ausnahmesituationen. Offenbar verließ Butt den Job nach sechs Monaten auf eigene Initiative.

Einen seiner Mittäter, den 22-jährigen Yussef Zagba, hatte vor gut einem Jahr die italienische Grenzpolizei in Bologna festgenommen. Die Beamten fanden auf dem Telefon des in Marokko geborenen italienischen Staatsbürgers Propagandamaterial der Terrorgruppe IS. Weil sie annahmen, Zagba wolle nach Syrien weiterreisen, hinderten sie ihn am Flug nach Istanbul und setzten den jungen Mann auf eine Liste islamistischer Verdächtiger. Diese sei auch den britischen Behörden zugänglich gemacht worden, berichteten Italiens Behörden der BBC. Der Londoner Polizei aber scheint Zagba ebenso unbekannt gewesen zu sein wie der dritte Täter, der aus Marokko stammende Koch Rachid Redouane.

Seit Mitte März haben Polizei und Geheimdienste fünf weitere Attacken vereitelt. Sicherheitsexperten rätseln darüber, warum Großbritannien einem so eklatanten Anstieg islamistischer Gewalttaten ausgesetzt ist. Es sei "unglücklicherweise nicht möglich", alle Terroranschläge zu stoppen, teilte Innenministerin Amber Rudd der BBC mit. Premierministerin May versuchte, die schwierige Sicherheitslage politisch zu nutzen: Wenn es jemals eines Regierungschefs bedurft hätte, der seinen Job vom ersten Tag an ausüben kann, "dann ist es jetzt. Wir haben keine Zeit, jemanden neu anzulernen", sagte die Amtsinhaberin in Anspielung auf ihren administrativ unerfahrenen Konkurrenten Corbyn. (Sebastian Borger aus London, 6.6.2017)

Alex Broadbent