Mit Anzug in der Werkshalle: Kurz hat "Österreich-Gespräche" gestartet – Antworten auf inhaltliche Fragen müssen noch warten.

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Obersdorf – Der Schurl-Wirt ist angespeist. Mit viel Liebe hat er sein Gasthaus renoviert, "und es schaut wirklich gut aus". Doch dann habe ein Lebensmittelinspektor beanstandet, was ihm niemand vorher gesagt habe: Das Klo brauche einen Vorraum. "Als Wirt will ich den Leuten was zu trinken geben", sagt er, "nicht viele Stunden die Woche Aktln studieren."

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Der Mann, den das zu interessieren hat, ist immer noch so adjustiert, als besuchte er einen diplomatischen Empfang. Doch statt mit Außenministerkollegen sitzt Sebastian Kurz in einer Tischlerei mit einem Bäcker, einem Fahrschulleiter, einem Autohändler und anderen lokalen Unternehmern im Kreis. In Obersdorf, eine halbe Autostunde nördlich von Wien, startet der ÖVP-Chef seine "Österreich-Gespräche": Bis in den September hinein will er durchs Land tingeln, um Klagen und Anregungen von Menschen "aus der Praxis" zu lauschen. Die gewonnenen Erkenntnisse, sagt Kurz, sollen ins Wahlprogramm einfließen.

Augenmaß statt Schikanen vom Arbeitsmarkt

Von Arbeitsinspektoren, die statt Augenmaß einen Hang zu Schikanen bewiesen, erzählt Tischlerei-Chef Franz Helmer und wünscht sich bessere Anreize für die Lehrlingsausbildung. Das perfekte Stichwort fällt jedoch beim eiligen, von Kamerateams eskortierten Rundgang durch die Werkhalle. Nicht nur wegen der Flüchtlinge müsse sich etwas ändern, sagt der beim Bruder angestellte Georg Helmer: "Es muss etwas getan werden, damit den Arbeitern am Monatsende ein bissl mehr bleibt. Zuviel ist es derzeit nicht."

Nur in Belgien sei die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt noch größer, knüpft Kurz an und wiederholt sein erstes großes Wahlversprechen: Von 43 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung will er die Steuerquote senken, und das in der nächsten, fünf Jahre dauernden Legislaturperiode.

"Zuwanderung ins Sozialsystem" beschränken

Wo die dafür nötigen zwölf bis 14 Milliarden Euro eingespart werden sollen? Da bittet Kurz um Geduld bis längstens Anfang September, wenn sein Konzept fertig sein soll. Vorerst beschränkt er sich auf Grundsätzliches: Die "Zuwanderung ins Sozialsystem" müsse ebenso gebannt werden wie der Wildwuchs an Subventionen – diverse Konzepte würden da ein Sparpotenzial von bis zu vier Milliarden ausweisen.

Dafür müsste Kurz die zuletzt ausgeschüttete Summe in etwa halbieren: Laut Wirtschaftsforschungsinstitut gab Österreich im Vorjahr 7,46 Milliarden für Förderungen aus – um 1,5 Milliarden weniger als 2015. Wer aus der Vergangenheit deutlich höhere Zahlen im Kopf hat: Mittlerweile werden die Ausgaben für Spitäler und die ÖBB zum Großteil nicht mehr als Subvention gerechnet.

Mit 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt Österreich in der EU damit an achter Stelle (Daten von 2015). Die Wirksamkeit der Förderungen werde nur mangelhaft überprüft, sagt Wifo-Experte Pitlik, das System sei undurchsichtig, auch für mögliche Empfänger. Wer über Know-how und Kontakte verfüge, "kommt leichter zu Subventionen."

Einsparpotenzial beziffert Pitlik keines, dafür gibt sich Kurz umso ambitionierter. Das Problem beginne bei der "Denke", sagt er bei der Tischlerei Helmer: "Die Österreicher sind darauf konditioniert, dass fast alles gefördert wird." (Gerald John, 6.6.2017)