Der mit der Brille heißt Milo Aukerman. Er ist Sänger und Maskottchen der US-Band Descendents. Am Donnerstag wird er von der Bühne der Wiener Arena brüllen.

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Wien – Ökonomie macht sich bezahlt. Im Falle der Descendents seit mittlerweile 40 Jahren. Als die Punkband aus Los Angeles begonnen hatte, spielte sie Songs, die meist nach ein oder zwei Minuten durch waren. Fertig. Aus die Maus. Alles gesagt. Das war damals, an der Zeitenwende des Punk, revolutionär. 40 Jahre später führt es dazu, dass man sich als Kunde eines Descendents-Konzerts nach einer Stunde bestens bedient fühlt. Und die Band, so frisch sie auch sein möge, wird nicht böse sein, dass ein Song wie I Wanna Be A Bear nach 40 Sekunden wieder hinten raus ist.

Überprüfen lässt sich diese Behauptung am kommenden Donnerstag, da tritt der rabiate Vierer in der Wiener Arena auf.

Moshcam

Die Descendents sind eine sogenannte Kultband. Das ist ein scheußlicher Begriff, klar, aber zutreffend. Die Descendents, die Abkömmlinge, gelten als prototypische US-Formation, die Punk in Hardcore überführte, zudem aber einen Pop-Appeal pflegte, der sie zur Blaupause für dutzende nachkommende Formationen in diesem Bereich machte. Von Offspring über Blink-82 oder Green Day, um nur ein paar der bekannteren zu nennen.

Die Wirkung der Descendents begründet sich einmal musikalisch. Ihr 1982 erschienenes Debüt Milo Goes to College glänzte an allen Stellen. Der satt wummernde Schlagzeugstil Bill Stevensons zählte zu einem der wesentlichen Merkmale der Band, der melodische Bass ergänzte die Rhythmusabteilung und ließ Milo ... ungewöhnlich fett produziert klingen. Anders als viele andere vergleichsweise dünnpfiffige Produktionen jener Zeit.

Nerds auf und vor der Bühne

Dazu kamen Gitarrenriffs sowie der Ekel und Lebenshunger formulierende Gesang Milo Aukermans, der gängige Beschwerden des gemeinen US-amerikanischen High-School- und College-Kids vortrug. Plus sein Image: Aukerman sah aus wie der Klassennerd, Trottelbrille und ein Haarschnitt, dessen Fasson Mutters Kochtopf vorgab. Eine Karikatur Aukermans zierte das Cover des Debüts, gleichzeitig wurde seine grafische Darstellung zu einer logoähnlichen Trademark, die auf vielen Plattenhüllen in modifizierter Darstellung wiederkehrte.

Für die nerdige Authentizität sorgte der Umstand, dass Aukermann Biologie studierte und sich beständig zwischen bürgerlicher und musikalischer Karriere entscheiden musste. Punk hat am Ende den Zuschlag erhalten. In den Pausen ohne Aukerman formierten die restlichen Mitglieder ähnliche Bands wie All, doch keine erlangte die Bedeutung der Descendents, wenngleich derlei Behauptungen Diskussionsbedarf provozieren können. Nerds gibt es ja nicht nur auf der Bühne.

Die Songs der Descendents behandelten den Alltag adoleszenter Tunichtgute. Kiffen, skaten, der Wunschtraum Sex, mit dem High Riser durch die Suburbs cruisen – all das war wichtiger, als wie die Eltern den Amtsweg in die Langeweile der Bürgerlichkeit zu nehmen. Fuck off!

In der Nachbarschaft des Labels SST, das gewissermaßen das Welthauptquartier solcher und ähnlich orientierter Bands bildete, entstand ein Netzwerk, das sich gegenseitig befruchtete. Etwa mit Bill Stevenson als kurzzeitigem Drummer und Produzenten bei der heiligen Kuh der US-Hardcore-Szene, bei Black Flag.

So entstand in wenigen extrem produktiven Jahren eine Kultur, deren Wirkung bis heute anhält. Obwohl man zugeben muss, dass sich die Hörgewohnheiten dermaßen verändert haben, dass mit diesem Sound keine Revolution mehr vertont wird.

An die 40 Songs pro Stunde

Acht Studioalben haben die Descendents bislang veröffentlicht, im Vorjahr erschien Hypercaffium Spazzinate, das ihnen nun Anlass bietet, wieder einmal die Welt zu umrunden. An die 40 Songs brüllt Milo Aukerman pro Set von der Bühne. Auf einen sollten die Descendents gerade in Wien nicht vergessen. Wobei Song in dem Fall ein großes Wort ist: das gerade einmal zwölf Sekunden dauernde Weinerschnitzel (sic!). (Karl Fluch, 7.6.2017)