Anna Haumer und Valentin Gruber-Kalteis kochen mit Verve, aber nicht ungestüm. Ab jetzt in der Wiener Dorotheergasse.

Foto: Gerhard Wasserbauer

"Krakau" schaut nicht nur hübsch aus, sondern ist auch ein erster Gang, der die Sinne auf ideale Weise aufweckt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es war einmal eine junge Köchin aus Perchtoldsdorf, die sich durch einige der aufregendsten Küchen des Kontinents diente, beim holländischen Dreisterner Hertog Jan aber von machistischen Kollegen so gemobbt wurde, dass sie Job und damit Karriere um ein Haar sausen gelassen hätte – wenn Thomas Dorfer sie nicht in die Wachau geholt hätte, wo sie, endlich, mit einem Märchenprinzen belohnt wurde. Im Fall von Anna Haumer erschien er in Gestalt von Valentin Gruber-Kalteis, der zwar auch nur Koch in Dorfers Brigade war – aber mit blondem Haar, schöner Seele und bedingungsloser Liebe gesegnet ist. Damit fängt die Geschichte aber erst an.

Seit vergangener Woche sind die beiden nämlich im Blue Mustard von Vahe Hovaguimian gelandet, wo nach dem Abgang Alexander Mayers ein durchaus gewichtiges Erbe in der Küche zu übernehmen war. Das machen die zwei mit solch hinreißendem Talent, dass man sich noch so gern in das skurrile, mit Nachbildungen der Steffl-Fenster ausstaffierte Lokal setzt, um von den Tellern der Liebenden zu naschen.

Hovaguimian isst vorzugsweise Fisch und Gemüse, was sich in der Küchenlinie keineswegs ausschließlich, aber erfreulich vielfältig niederschlägt. Es gibt zahlreiche vegetarische Optionen, und sie sind von einer Finesse und Kunstfertigkeit, dass sich manch hochdekorierter Gourmetschuppen mit entsprechender Spezialisierung warm anziehen sollte: So gut fleischfrei hat man in Wien kaum je gegessen.

Was sich im Blue Mustard nicht geändert hat, ist die internationale Ausrichtung. Die Gerichte heißen Palermo, Tokio oder Marrakesch. Das kann leicht in ausgelutschte Klischees abgleiten, die Neuen aber sind mit Weltläufigkeit und einer guten Portion Frechheit bei der Sache. Sie schicken unheimlich stimmige, geradlinige Gerichte aus der Küche.

"Krakau" zum Beispiel, eine extrem frische Kombination aus kurz eingelegter Gurke mit Dill, knackiger roter Rübe mit Kümmelaromen, hintergründig fruchtiger Sauerrahmsauce und knusprig gepopptem Buchweizen, über der Bronzefenchelkraut wie ein Schleier zu schweben scheint – schaut (siehe Bild) nicht nur hübsch aus, sondern ist auch ein erster Gang, der die Sinne auf ideale Weise aufweckt, zu sich holt und bereit für das macht, was da kommt: große Klasse.

"Zürich" wird auf der Karte als Kombination aus Kalb, Champignons, Reis, Zwiebel und Schnittlauch angekündigt. Wer da an Geschnetzeltes denkt, liegt nicht ganz falsch: Die Küche schnetzelt zartes Tartare, grillt Pilze, frittiert Reis zu Chips, drapiert zarte Creme von Champignons und Zwiebeln rundum und schafft so ein amüsantes, überraschendes, in sich stimmiges Gericht, das nicht bloß als Interpretation des Klassikers besteht.

Sauer hier, geil da

Noch besser wird es in "Mumbai", wo Haumer und Gruber-Kalteis furios mit Konsistenzen und, natürlich, mit indischen Aromen spielen. Schalotte birgt schillernde Currydüfte, goldene Chioggia-Rübe schiebt mit bitterer Nuance dazwischen, Tamarinde und Cashew leuchten mit säuerlicher Fruchtigkeit hier und geilen Röstnoten da auf. Zwischendurch darf ein knackiger Apfel "Rührt euch!" rufen, worauf die Aromen am Gaumen Karussell fahren. Wem es da an tierischem Protein fehlt, dem ist nicht zu helfen.

Herrliches Lamm (mit noch besserer Melanzani) gibt es eh auch, Wildbranzino detto und viel anderes Gutes dazu. Die mehr als beachtlichen "Forgotten Drinks" von Barchef David Penker zum Beispiel, erst recht aber die von Oberauskenner Robert Stark aufmagazinierte Weinkarte, die es endlich mit der Qualität der Küche aufnehmen kann. (Severin Corti, RONDO, 9.6.2017)