Die Hits vom Schlagerfestival Sanremo aus dem Jahre 1984 machen für Teresa Präauer in Form einer Kassette den Sommer aus.

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Das aktuelle Buch der österreichischen Schriftstellerin Teresa Präauer trägt den Titel "Oh Schimmi" und ist bei Wallstein erschienen. Zur Lektüre empfiehlt sie ein Glas Blue Curaçao an einem Pool.

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Als wir klein waren, besaßen wir zu zweit eine Musikkassette. Weil ich vorher schon da war, gehörte mir die Seite A, meiner Schwester dann die Seite B. Die Musikkassette hieß "Italien Superhits". Es sind, erfahre ich jetzt, die Hits vom Festival in Sanremo des Jahres 1984. Italien, wenn ich mich recht erinnere, auf Deutsch geschrieben, Superhits auf Englisch, Italienisch war daran dann: "Per una Bambola" von Patty Bravo, "Serenata" und "Un' estate con te" von Toto Cutugno, "Cara" von Christian, "Un amore grande" von Pupo, "Ci sara" von Al Bano und Romina Power, "Regalami Un sorriso" von Drupi, "Terra promessa" von Eros Ramazotti und so weiter.

"Una terra promessa, un mondo diverso, dove crescere i nostri pensieri", singt Eros, damals noch so verdammt jung von einer anderen Welt träumend, in der unsere Gedanken wachsen könnten. "Voulez-vous danser" von Ricchi e Poveri ist dann auf Französisch, und unsere Reise, die Autofahrt im Audi 100 mit Wohnwagen hinten dran, hatte ihr Ziel in Jugoslawien, Jugoslawien vor dem Krieg. Ich kann diese Lieder noch immer in einem pseudomäßigen Kinderitalienisch mitsingen, denn unsere Mutter hatte uns doch immerhin beigebracht, beim Zwischenstopp im Gasthaus nach Stuzzicadenti zu fragen.

DJ Ötzi & Amore

Noch immer, wenn ich solche Lieder irgendwo zufällig wieder höre, erfasst mich die Schönheit und die Melancholie der vielen Sommer am Mittelmeer. Ich denke an die heiße, staubtrockene Erde, an den Geruch der Zedern, das salzige Meerwasser. An den Geschmack von Melonen, Weißbrot und Pager Käse, an die meterlangen Brüste einer Frau am FKK-Campingplatz, an meine ausgedehnten Einkaufsfahrten auf Rollschuhen. An die Stacheln des Seeigels in meinen Fußsohlen und an die schwarze Zugsalbe, die man draufstreichen musste. An das um drei Jahre ältere Mädchen, das uns mit einem "Bravo"-Heft über die Liebe aufklärte, und an die Hängematte, in der mein Vater mit Strohhut lag und ein Buch las, bis wir ihm den Platz streitig machten. Ich muss hier nicht von heiler Welt sprechen, es gab sie jeweils für die Zeit des Sommers, eine Kindheit lang, während vieler Autofahrten mit dieser Musik.

Weil wir Tschernobyl, den Kalten Krieg, die atomare Bedrohung und die Hänseleien des Volksschulkollegen von damals vergessen haben, sehnen wir uns nach dieser Zeit zurück. Deshalb, und wegen Fendrichs "Strada del sole", sangen Wanda 2014 von der Cousine in Bologna. Neuerdings fachsimpelt sogar DJ Ötzi, dem keine Erinnerung heilig ist und Ironie stets ein Fremdwort bleibt, von dieser Amore. "Orrore mio", stimme ich mit ein, "Gran' Orrore mio."

Wir saßen im heißen Audi 100 auf der Rückbank, sangen mit, mussten aufs Klo, wollten etwas zu trinken, waren lästig, zählten die Autokennzeichen, winkten den Vorbeifahrenden, stritten uns um ein Micky-Maus-Heft und fragten jede halbe Stunde: Wann sind wir endlich da? Unsere Eltern drehten die Köpfe zu uns und sagten, bald, bald sind wir da. "In una terra promessa, un mondo diverso, dove crescere i nostri pensieri." (Teresa Präauer, RONDO, 8.6.2017)

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