Die Niedrigzinspolitik sei ein "Segen" für Österreich, meint Bernhard Felderer.

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Für Bernhard Felderer ist der Zeitpunkt gekommen, die Politik zu ändern. Der Präsident des Fiskalrats, eines Beratungsgremiums der Regierung, meint damit aber nicht das tägliche Hickhack, das sich zwischen Rot und Schwarz abspielt, sondern die grundsätzliche Ausrichtung der Wirtschaftspolitik in Österreich.

Nach den Jahren mit wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen, in denen es vor allem darum ging, kurzfristig die Nachfrage zu stimulieren, seien nun, da das Wachstum wieder kräftiger anzieht (heuer werden zwei Prozent erwartet) und die Arbeitslosigkeit zurückgeht, langfristige Strukturmaßnahmen notwendig. Zusätzliche steuerliche Impulse seien nicht mehr erforderlich. "Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung", folgert Felderer.

Optimistischer als Finanzministerium

Dass man deshalb auf geplante Beschlüsse wie den Beschäftigungsbonus oder die Aktion 20.000 für langzeitarbeitslose Menschen über 50 Jahren verzichten könne, will der frühere Chef des Instituts für Höhere Studien damit aber nicht gesagt haben. Auch bei diesen Maßnahmen seien langfristige Effekte möglich.

Für das heurige Jahr ist der Fiskalrat sogar etwas optimistischer als das Finanzministerium. Felderer geht für 2017 von einem Maastricht-Defizit von nur mehr 0,9 Prozent aus, das Finanzressort erwartet 1,0 Prozent. Im nächsten Jahr ist der Fiskalrat mit einer Defizitschätzung von 1,0 Prozent dann aber etwas pessimistischer als das Ministerium (0,8 Prozent).

Frühwarnung aus Brüssel möglich

Zu tun hat das unter anderem damit, dass Regierungsvereinbarungen aus dem Frühjahr in den Ministeriumsprognosen noch nicht enthalten sind. Felderer geht daher auch davon aus, dass es 2018 zu einer "erheblichen Abweichung" von der EU-Ausgabenregel kommt, wodurch theoretisch eine Frühwarnung der EU-Kommission möglich wäre. Da Österreich in Summe aber solide aufgestellt sei, erwartet Felderer definitiv kein formelles Verfahren.

Eine aktualisierte Schätzung liefert der Fiskalrat auch zu den Flüchtlingskosten vor. Angesichts der sinkenden Antragszahlen gehen zwar die Kosten für die Grundversorgung deutlich zurück (von 700 Millionen im Vorjahr auf 400 Millionen heuer und 2018).

Da aber gleichzeitig die Flüchtlingskosten in der Mindestsicherung steigen (auf 900 Millionen Euro 2018) und auch die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Asylberechtigten (400 Millionen nächstes Jahr) teurer wird, steigt die Gesamtbelastung inklusive aller sonstigen Kosten (Recht und Sicherheit, Integration, Verfahrenskosten, Familienbeihilfe) von heuer 2,4 Milliarden auf 2,7 Milliarden im kommenden Jahr. Trotz der hohen Kosten zeigt sich Felderer überzeugt, dass es weitere Maßnahmen zur Integration von Asylberechtigten brauche.

Bankenrettung trieb Schuldenquote

Die Kosten für die Bankenrettungen spielen im aktuellen Budget keine große Rolle mehr. Über die Jahre hat sich die Belastung aber auf etwa zwölf bis 14 Milliarden Euro summiert, rechnet Felderer vor. Um welche Dimensionen es dabei geht, zeigt ein Blick auf die Staatsschuldenquote (siehe Grafik). Ohne das Bankenpaket läge die Staatsverschuldung heuer bei nur 72,6 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP), tatsächlich liegt sie noch immer knapp über 80 Prozent.

Einen Blick wert sind auch die Folgen der Niedrigzinspolitik. "Ein Segen für Österreich", wie Felderer meint. Vor acht Jahren musste Österreich im Schnitt noch 4,3 Prozent Zinsen am Markt zahlen, aktuell sind es knapp drei Prozent. Wäre das Zinsniveau auf dem Level des Jahres 2009 geblieben, hätte Österreich kumuliert 9,4 Milliarden Euro mehr an Zinskosten zahlen müssen.

Keine Wahlzuckerln

Für die kommenden Monate wünscht sich Felderer, wie schon andere Ökonomen vor ihm, vor allem eines: dass die Parteien nicht großzügig "Wahlzuckerln" verteilen, habe man doch bei vergangenen Wahlen schon "schwer in die Kacke gegriffen". Dass es nach der Wahl zu einem dramatischen Kurswechsel kommt, glaubt Felderer nicht.

Zwar habe der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz eine kräftige Steuerentlastung angekündigt. Wenn es darum ging, zur Gegenfinanzierung große Reformen auf den Weg zu bringen, habe es bisher aber immer erfolgreich Widerstand – etwa von den Landeshauptleuten – gegeben. "Das Spannende wird sein, ob er damit politisch durchkommt." (Günther Oswald, 7.6.2017)