Wien – Österreich ist bei der Eigenvorsorge für das Alter "ein wirklicher Nachzügler", betonte der Pensionsexperte Bernd Marin am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Vor allem Firmenpensionen seien "ein radikales Minderheitenprogramm". Das Drei-Säulen-Modell müsste ernst genommen werden. Der wichtigste Punkt sei die Konsolidierung der ersten staatlichen Säule.

Man müsste die Weiterentwicklung der zweiten Säule zusammen mit der konsolidierten ersten Säule zur nationalen Priorität machen – "Staat und Betriebe Hand in Hand eine gemeinsame Kraftanstrengung vornehmen". Das sei bisher nicht geschehen. Er sei gespannt, ob das die Bewerber um die Kanzlerschaft in ihrem Programm hätten, bisher habe er noch nichts dergleichen gesehen. "Es muss ein Gesamtkunstwerk sein – und für das Gesamtkunstwerk ist der nächste Schritt von der Konsolidierung der ersten Säule, die zweite Säule wirklich zur zweiten Säule zu machen und zu einem flächendeckenden Instrument der Altersvorsorge, das grosso modo 100 Prozent der Bevölkerung umfassen soll", sagte Marin bei einer Pressekonferenz anlässlich des heute und morgen stattfindenden "2. Institutionellen Altersvorsorgegipfels".

90 Prozent aus staatlicher Säule

In Österreich kämen derzeit rund 90 Prozent des Pensionseinkommens aus der staatlichen Säule, aus der betrieblichen Altersvorsorge nur rund vier Prozent. Der Ausbau der zweiten Säule könnte möglicherweise verpflichtend sein, aber mit einer Art Austrittsmöglichkeit für den einzelnen Arbeitnehmer, die aber die Einbindung des größten Teils der Arbeitnehmer nicht gefährden dürfe. Für eine Reform seien neue Veranlagungsansätze nötig. Die Firmenpensionen sollten in Kollektivverträge integriert werden, die Arbeitnehmerbeiträge steuerlich absetzbar sein. Die Finanzierung könnte über Gehaltsumwandlungen erfolgen. Derzeit sei man bei den Firmenpensionen auf die Aufgeklärtheit des Arbeitgebers angewiesen. Bisher sei die betriebliche Altersvorsorge sehr unattraktiv für private Unternehmen und sehr attraktiv für öffentliche Unternehmen und den geschützten Sektor.

Es gebe ein "Nebeneinander zwischen diesen betrieblichen Altersvorsorgewüsten im privaten Sektor und den öffentlichen Privilegienparadiesen", was keine besonders sozialfriedensförderliche Koexistenz sei.

Der ehemalige Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, wies auf die ökonomischen Begriffe (staatliches) Umlagesystem und kapitalgedecktes System hin. Er betonte, dass eine Gesellschaft für das Alter Vorsorge treffen müsse – entweder sie investiere in Kinder oder sie spare. Zum Thema Niedrigzinsen verwies er darauf, es sei auf jeden Fall besser durch Sparen Ressourcen für die Zukunft zu schaffen. Das sei mehr als nichts, wenn es Zinsen gebe, habe man dann mehr Mittel zur Verfügung.

Die Gesellschaft verjünge sich in Europa und Österreich eher, als dass sie altere, so Marin, der heuer ein "Europäisches Bureau für Politikberatung und Sozialforschung" gegründet hat. Er verweist auf neue relativitätstheoretische Konzepte wie "prospektives Alter" und "Altersinflation" – etwa warum es immer weniger "alte Menschen gebe, aber immer mehr Über-65-Jährige. So bedeute ein Alter von 65 Jahren in unterschiedlichen Ländern etwas komplett anderes. (APA, 7. 6. 2017)