18 Jahre nach den denkwürdigen Wahlen von 1999, die die FPÖ an die Seite der Volkspartei in Regierungsverantwortung brachten, erörtert Österreich erneut die Aussicht einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung. Diskutiert wird dabei zunehmend weniger, ob der anstehende Wahlgang vom Herbst 2017 in eine solche münden wird, als vielmehr, wer den Freiheitlichen diesmal den Steigbügel halten wird: schwarz-blaue Reprise oder Wiederauflage der rot-blauen Konstellation der 1980er-Jahre?

Während die ÖVP seit Schüssels Zeiten das Wahlvolk über ihre diesbezügliche Offenheit nie in Zweifel gelassen hat, reibt die SPÖ sich spätestens seit Beginn der Liaison im Burgenland im Jahr 2015 an der Frage auf, ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen mit den Blauen auch ein Bundesstaat zu machen sei. Neben pragmatisch-taktischen Argumenten sind dabei inzwischen auch Stimmen zu vernehmen, wonach die FPÖ heute als regierungsfähiger anzusehen sei als in früheren Jahren. Erst unlängst verkündete Hans Sallmutter, Ehrenvorsitzender der als besonders FPÖ-kritisch geltenden Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und 2001 Symbolfigur des Widerstandes gegen Schwarz-Blau, im "Profil" (27.5.2017) dass die Freiheitlichen sich seit damals "zweifelsohne stark gewandelt" hätten. "Auch nach links tendierende Menschen" empfänden sie "nicht mehr als so unkonstruktiv wie einst." 

FPÖ-Kritik: von der Technokratisierung zur Anbiederung

Damit knüpft Sallmutter an die unselige sozialdemokratische Tradition an, Abgrenzung zur FPÖ nicht mit deren rechtsextremen Charakter zu begründen, sondern mit vermeintlich fehlender "Handschlagqualität" oder "Lösungsorientierung". Schon der als Parteilinker geltende Caspar Einem hatte Strache in Abgrenzung zu Haider in "Österreich" (13.10.2007) zugutegehalten, "ein aufrechter Deutschnationaler" zu sein: "was man ausmacht, hält. Das ist angenehm in der parlamentarischen Arbeit." Josef Cap beschrieb im "Kurier" (3.10.2010) den "Unterschied zwischen uns" – FPÖ und SPÖ – bezeichnenderweise wie folgt: "Während die FPÖ eine Politik der Seifenblasen verfolgt, sind unsere Ideen umsetzbar." Laura Rudas wiederum dampfte als Bundesgeschäftsführerin ihre Kritik an den Freiheitlichen auf eine nicht minder aussagekräftige Formel im STANDARD (24.6.2011) ein: "Sie sind eine Risikopartei und das ist das Problem. Sie fahren Zick-Zack-Kurse und stehen für nichts."

Mittlerweile scheint jedoch selbst die langjährige Generallinie, die FPÖ primär als unkonstruktiv zu punzieren, verworfen worden zu sein. So erklärte Kanzler Christian Kern bei "Puls4" (23.1.2017) die Blauen Anfang dieses Jahres zu einer der zwei Parteien in Österreich, "die dieses Land verändern wollen". Während am Veränderungswillen der FPÖ in der Tat kein Zweifel bestehen kann, lässt sich über Kerns Einschätzung der Richtung dieser Veränderung trefflich streiten: "[N]atürlich" gehe es "Herrn Strache" wie ihm selbst darum, "unser Land voranzubringen", gestand er dem darüber sichtlich erfreuten Konkurrenten im Ö1-Doppelinterview (23.11.2016) zu. Und dann ist da noch Hans Niessl, der seit Jahren nicht müde wird, die "Paktfähigkeit" und "Umsetzungsfreude" seines blauen Koalitionspartners zu preisen.

Blicken wir in eine rot-blau-regierte Zukunft?
Foto: REUTERS/Mike Segar

Besonders originell argumentiert die "Falter"-Journalistin Barbara Tóth ihr Plädoyer für Rot-Blau: Zu Zeiten der Sinowatz-Steger-Koalition (1983-1986) sei die FPÖ "eine nationalliberale Honoratiorenpartei mit einem Haufen alter Nazis in ihren Reihen" gewesen. Heute sei sie dagegen "eine zum Establishment zählende rechtspopulistische, austro-patriotische Catch-All-Bewegung." ("Falter", 47/2016) Abgesehen von der Pointe, der FPÖ das Wegsterben der "Erlebnisgeneration" als Ausweis ihres Wandels anzurechnen, hält diese Einschätzung lediglich in einem Punkt einer Realitätsprüfung stand: nämlich in der Einstufung der FPÖ als "Establishment". Dass sie dazu wurde, hat freilich weniger mit ihrer eigenen Entwicklung zu tun, als mit den Grenzen dessen, was in Österreich heute als "established" angesehen werden kann.

Wofür steht die Strache-FPÖ?

Keine Frage: Die FPÖ hat sich gegenüber Haiders Zeiten gewandelt – personell wie auch inhaltlich. Tatsächlich ist sie in ihren Positionierungen verlässlicher geworden. Daraus Argumente für ein rot-blaues Zusammenspiel herzuleiten, erfordert freilich einiges an Sophistik, wie ein kurzer, unvollständiger Blick auf Unterschiede zwischen der Haider- und der Strache-FPÖ zeigt:

  • Die FPÖ, die Haider 2000 in die Regierung führte, hatte sich wenige Jahre zuvor (1997) programmatisch vom deutsch-völkischen Bekenntnis verabschiedet; die Strache-FPÖ hat diesen "Kniefall vor dem Zeitgeist" – Norbert Hofer in der rechtsextremen Aula (6/2011) – rückgängig gemacht und es unter Hofers Ägide 2011 wieder eingeführt.
  • Das unter Strache zuletzt 2013 aufgelegte "Handbuch freiheitlicher Politik" begnügt sich nicht mit der Ungleichbehandlung der österreichischen Wohnbevölkerung nach Staatsbürgerschaft, sondern fordert auf Seite 162 darüberhinaus die Diskriminierung nicht-"autochthone[r]" Eltern, um sicherzustellen, dass Geburtenförderung auch den "Richtigen" zugute kommt.
  • Der FPÖ-Fraktion, die 1999 in den Nationalrat einzog, gehörten unter 52 Abgeordneten acht Mitglieder völkischen Studentenverbindungen an, was einem Anteil von 15 Prozent entspricht: Es war dies der bis heute niedrigste Anteil der gesamten Parteigeschichte. Die aktuelle freiheitliche Nationalratsfraktion besteht dagegen zu 45 Prozent aus Korporierten, während der aktuelle Bundesparteivorstand sogar die 50-Prozent-Marke knackt. Hinter diesen Zahlen steht der Umstand, dass Haider im Laufe der 90er-Jahre die korporierten Dogmatiker personell und inhaltlich zunehmend an den Rand gedrängt und durch Karrieristen vom Schlage Grasser oder Rumpold ersetzt hatte. Unter Strache dagegen erfuhr das verbindungsstudentische Element eine bis dato präzedenzlose Stärkung. Wenn Tóths Einstufung der FPÖ als rechtspopulistische Catch-All-Formation je Gültigkeit hatte, dann für die Truppe des späten Haider, die Andreas Khol ("Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit"), damals unter heftiger sozialdemokratischer Kritik, in seinen "Verfassungsbogen" zwängte – sicher aber nicht für die heute real existierenden Freiheitlichen.
  • Der eben erwähnte Unterschied zwischen den Ären Haiders und Straches findet seinen Niederschlag auch im jeweils als ministrabel erachteten Personal: Unter den sieben freiheitlichen Mitgliedern der Bundesregierung Schüssel I – präziser: der im Februar 2000 angelobten Startformation derselben – fand sich kein einziger Korporierter. In der Strache-FPÖ dagegen kursieren seit Jahren Namen wie Straches eigener, Johann Gudenus (beide pennale Burschenschaft Vandalia), Harald Stefan (akademische Burschenschaft Olympia) oder Johannes Hübner (erst letztes Jahr als Redner bei der rechtsextrem-revisionistischen Gesellschaft für freie Publizistik zu Gast) als heiße Kandidaten für künftige Regierungsämter.
  • Erst die Strache-FPÖ hat das Feld des antimuslimischen Rassismus als zentrale Spielweise für sich entdeckt und systematisch zu beackern begonnen, wie Heribert Schiedel in seinem Buch "Extreme Rechte in Europa" nachweist.
  • Während Haider auf internationaler Ebene primär symbolpolitisch motiviert durch den arabischen Raum irrlichterte, ist die Strache-FPÖ nicht nur ein Arbeitsübereinkommen mit der Kreml-Partei "Vereinigtes Russland" eingegangen, sondern plant bereits eine sehr reale, illiberale Blockbildung im Herzen Europas, an der Seite Orbáns und Kaczynskis, für deren Medienpolitik man sich in freiheitlichen Kreisen durchaus begeistern kann.

All dies soll die späte Haider-FPÖ nicht verharmlosen – vieles hatte sie mit der heutigen gemein, etwa die systematische Rahmung aller möglichen politischen Issues als "Ausländerproblem", das instrumentelle Verhältnis zum Rechtsstaat (vergleiche etwa die freiheitliche Obstruktionspolitik in Fragen der Minderheitenrechte in Kärnten/Koroška), die notorischen Schmähreden gegen politische Gegnerinnen und Gegner und Kritikerinnen und Kritiker oder die chronische Subventionierung rechtsextremer Zeitschriften. Die Aufzählung soll aber illustrieren, wie weit das politische Koordinatensystem sich nach rechts verschoben haben muss, wenn Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die heutige FPÖ ernsthaft für regierungstauglicher halten als jene Haiders, die an Schüssels Seite die SPÖ in die ungeliebte Oppositionsrolle verbannte. "Die FPÖ des Jahres 2017 ist nicht mehr die FPÖ des Jahres 2000", verkündete etwa der Linzer Bürgermeister Klaus Luger kürzlich. Als Argument für eine rot-blaue Koalition.

SPÖ und FPÖ nähern sich an.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Rot + blau = blau?

Es liegt auf der Hand, dass die FPÖ nach ihrer schwarz-blauen Erfahrung, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Enttabuisierung rechtsextremer Regierungsbeteiligungen auf internationaler Ebene, 2017 nicht mehr annähernd so billig zu haben wird, wie für Schüssel im Jahr 2000, und dass kein potenzieller Koalitionspartner umhin kommen wird, an der Seite der FPÖ künftig auch freiheitliche Politik zu machen.

In der Umsetzung solcher Politik hat die SPÖ freilich auch jetzt schon Übung – im Verbund mit der ÖVP auf Bundesebene ebenso wie im Burgenland. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die entsprechende Entwicklung bis zurück in die 90er-Jahre umfassend nachzuzeichnen. Einige Marksteine auf dem sozialdemokratischen Weg zum potenziellen freiheitlichen Koalitionspartner seien aber pars pro toto genannt: etwa die bereitwillige sozialdemokratische Zustimmung zum schwarz-blauen Fremdenrechtspaket 2005 aus der Oppositionsrolle heraus; das "10-Punkte-Programm" zur "Integration" von 2006, in dem es unter anderem hieß, dass "Zuwanderung … kein Recht, sondern ein Privileg" sei, "den österreichischen Interessen dienen" müsse und "Österreichs Identität nicht gefährde[n]" dürfe; die Verharmlosung der Wehrsporteskapaden des volljährigen Strache als "Jugendtorheiten" durch Parteichef Gusenbauer 2007; jene Presseaussendung von 2010, in der Peter Kaiser – heute Leiter der SPÖ-Arbeitsgruppe zur Aufstellung eines "Kriterienkatalogs" für potenzielle Regierungspartner – dem damaligen Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler (FPK) vorhielt, dass "schwarzafrikanische Drogendealer … in den Genuss der Kärntner Grundsicherung gekommen" seien und an deren "Verfrachtung" auf die Saualm einzig problematisierte, dass die dort Isolierten das Heim "jederzeit und aus freien Stücken" verlassen könnten.

Die Sozialdemokratie mag mit der FPÖ verfahren, wie sie will. Sie mag zu dem Schluss gelangen, dass SPÖ und FPÖ in ihrer jeweiligen heutigen Verfasstheit bündniskompatibel sind. Sie sollte sich dabei aber nicht der Fehlannahme hingeben, das hätte auch nur vorrangig mit der Entwicklung der FPÖ zu tun. (Bernhard Weidinger, 13.6.2017)

Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Autor einer Monographie über Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945.

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