Eine kurdische Fahnenschneiderei in Erbil: Auch Präsident Massud Barzani findet seinen Platz.

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Erbil/Wien – Ende Mai hatte die kurdische Regionalregierung in Erbil die Uno über ihre Absichten informiert, und nun gibt es einen Termin: Am 25. September wird die Region Kurdistan über ihre Unabhängigkeit abstimmen, aber nicht nur diese, sondern auch Gebiete, die laut irakischer Verfassung von 2005 "umstritten" sind, also auch von Bagdad beansprucht werden. Dazu zählt Kirkuk, das wegen seiner Ölvorkommen nicht nur großen wirtschaftlichen, sondern auch ideellen Wert für die Kurden hat. Kurdische Peshmerga waren 2014, als die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) floh, dort eingerückt – um zu bleiben.

"Umstrittene Gebiete", diesen Begriff gebe es nicht mehr im Wörterbuch, sagte dazu der Premier der kurdischen Regionalregierung, Nechirvan Barzani, Neffe von Präsident Massud Barzani. Tatsächlich hätte eine Abstimmung über die Zugehörigkeit in diesen Gebieten schon bis Ende 2007 stattfinden sollen. Mit Sorge stellt Erbil aber nun fest, dass schiitische arabische Milizen, die gegen den IS kämpfen, den von ihnen kontrollierten Gebieten immer näherkommen.

Kein Großkurdistan

Aber dass es nur um Grenzen innerhalb des jetzigen Irak geht – und nicht etwa um jene eines in romantischen Vorstellungen existierenden Großkurdistan -, war immer klar. Nicht nur, weil Barzani eng mit der Türkei zusammenarbeitet und ohne diese Kooperation sein unabhängiger Staat nur schwer existieren könnte, sondern auch wegen tiefer ideologischer Spaltungen innerhalb der Kurden. Der national-konservative Barzani und die extrem linke PKK und ihre Satellitenparteien in anderen Ländern – das geht nicht zusammen.

Wie das Referendum ausgehen wird, ist klar: Im Jänner 2005 wurde die Bevölkerung schon einmal befragt, 98,98 Prozent votierten für die Abspaltung vom Irak. Auch diesmal ist die Frage denkbar einfach: "Sind Sie für die Unabhängigkeit Kurdistans?" Und dennoch gibt es Zweifel, ob Barzani wirklich die Absicht hat, einen unabhängigen Staat im kurdischen Teil des Irak zu gründen. Zumindest erwartet niemand eine schnelle Unabhängigkeitserklärung nach dem Referendum.

"Haus Irak" neu bauen

Die Kurden haben Bagdad klar kommuniziert, dass die Beziehung zwischen Kurdistan und dem arabischen Teil nach dem – bevorstehenden – Sieg gegen den IS auf eine neue Basis gestellt werden muss. "Das ganze Haus Irak wird neu gebaut, das föderale Konzept, das es ja in der Verfassung theoretisch bereits gibt, wird neu gedacht werden müssen", sagt die Vertreterin der EU in Erbil, Clarisse Pasztory, zum STANDARD.

Erbil ist frustriert, dass die kurdischen Vorschläge für eine politische Zukunft etwa für Mossul von der Regierung in Bagdad nicht aufgegriffen werden, sagte ein Vertreter der kurdischen Regionalregierung kürzlich bei einem Briefing in Wien. Premier Haidar al-Abadi in Bagdad jedoch versucht, die Kurden hinzuhalten.

In der Tat haben die Kurden im Kampf gegen den IS viel geleistet und große Opfer gebracht: Mehr als 1.700 Peshmerga sind gefallen, 10.000 verletzt. Kurdistan schultert eine riesige Flüchtlingslast – und muss oft von ausländischen Regierungen hören, dass sie, aus Respekt vor der irakischen Souveränität, nicht mit Erbil, sondern mit Bagdad zusammenarbeiten.

Kurdistan hat aber auch große interne Probleme – und Barzani-Kritiker sind überzeugt, dass der Präsident, dessen Mandat bereits im Sommer 2015 ausgelaufen ist, durch das Referendum davon ablenken will. Auch das Parlament ist seit 2015 lahmgelegt. Im Programm, das mit dem Referendumsdatum veröffentlicht wurde, steht, dass es reaktiviert werden soll und dass Parlamentswahlen am 9. November folgen. Barzani mag auch darauf setzen, dass das Referendum ihm hilft, die nationale Einheit wiederherzustellen.

Alle Parteien sollen in der gemeinsamen Referendumskommission vertreten sein, die von Barzani, gleichzeitig Chef der KDP (Kurdische Demokratische Partei), geführt wird. Die seit der schweren Krankheit ihres Führers, des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani, schwächelnde PUK (Patriotische Union Kurdistans) macht mit, hat aber Forderungen. Der stärkste innerkurdische Herausforderer der beiden alten kurdischen Parteien KDP und PUK ist "Gorran" (Wandel), deren Chef Nawshirwan Mustafa – früher ein PUK-Mitglied – jedoch im Mai verstarb.

Zuletzt gab es auch vermehrt Demonstrationen in Kurdistan gegen Einsparungen und ausbleibende Gehälter. Die wirtschaftlichen Probleme kommen nicht zuletzt vom tiefen Ölpreis – und vom Dauerstreit mit Bagdad, das 2015 vorübergehend die Zahlungen des Erbil zustehenden Budgetanteils einstellte, als Erbil eigenständig Öl verkaufte. Ernüchtert mussten die Kurden damals feststellen, dass sie wirtschaftlich besser fahren, wenn Bagdad pünktlich zahlt, als wenn sie auf sich selbst angewiesen sind. (Gudrun Harrer, 8.6.2017)