Fleisch vom Almrind erfreut sich steigender Beliebtheit. Doch immer weniger Menschen wissen, wie man Weidevieh in der Natur begegnet.

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Innsbruck – "Die Kinderbuchromantik, dass ein Rindvieh ein Streicheltier mit Kälbchengemüt ist, stimmt so einfach nicht", sagt Adolf Marksteiner von der österreichischen Landwirtschaftskammer. Nach dem tödlichen Unfall am Mittwochnachmittag, bei dem eine 70-jährige Wanderin auf der Kranzhornalm in Tirol von einer Herde Mutterkühe attackiert wurde, herrscht Verunsicherung unter der Bauernschaft. Denn mit der Zunahme an Ausflüglern auf den Almen steigt auch das Risiko von Zwischenfällen.

"Jeder Bauer hat Angst, dass ihm so was passiert", sagt Marksteiner. Denn einer ihrer Kollegen steht wegen eines ähnlichen Unfalls im Jahr 2014, wo Mutterkühe im Tiroler Pinnistal eine deutsche Urlauberin angegriffen und tödlich verletzt hatten, noch immer vor Gericht. Die Angehörigen der Toten verlangen 360.000 Euro Schadenersatz.

Kälber verteidigt

Dabei hatten die Landwirte in beiden Fällen mit Hinweisschildern auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die von Mutterkühen ausgehen. Diese sind im Herdenverbund eine eingeschworene Gemeinschaft, die ihre Kälber verteidigt. Daher sollte man solche Herden weiträumig umgehen. Besonders gefährlich wird es, wenn man einen Hund mit sich führt. Bei beiden tödlichen Attacken war dies der Fall, und beide Male haben die Frauen die Hunde nicht von der Leine gelassen, wodurch sie zum Ziel der Attacken wurden, die eigentlich den Hunden galten.

Die Zunahme derartiger Unfälle hat auch mit den Veränderungen in der Landwirtschaft zu tun. Die Konsumenten verlangen nach Fleisch aus biologischer Produktion. Mittlerweile passiert ein Drittel der heimischen Rinderzucht in Form von Mutterkuhhaltung. Zudem erfreuen sich Laufställe immer größerer Beliebtheit. Das ist gut für das Vieh, führt aber zugleich zur Entfremdung zwischen Rind und Mensch, wie Josef Hechenberger, Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer (LKT), erklärt: "Bei der Anbindehaltung kommt es mehrmals täglich zum Körperkontakt zwischen Bauer und Kuh. Im Laufstall passiert das kaum noch."

100.000 Kühe auf Almen

Allein in Tirol werden jeden Sommer rund 100.000 Kühe auf etwa 2.100 Almen aufgetrieben. Sie sorgen dafür, dass 140.000 Hektar Futterfläche als Kulturlandschaft Alm erhalten bleiben. Diese Zahlen sind seit zehn Jahren stabil. Allerdings nimmt das Aufkommen der Wanderer zu. Und die wissen meist nicht mehr, wie man sich gegenüber Almvieh verhält. Nach dem tödlichen Zwischenfall nahe der Pinnisalm 2014 hat die LKT eigens Folder mit Verhaltensregeln für Wanderer herausgegeben. Wenn etwa ein großräumiges Umgehen einer Herde nicht möglich ist, genügt meist ein solider Stock, um die Tiere fernzuhalten. Und besonders wichtig ist es, Hunde sofort von der Leine zu lassen, wenn Kühe angreifen.

Rechtlich gesehen hat der Oberste Gerichtshof schon 2007 festgestellt, dass Wanderwege durch Weideflächen nicht abgezäunt werden müssen. "Wenn Abzäunen bei Mutterkuhhaltung nicht zumutbar ist, genügt eine Beschilderung", erklärt der Innsbrucker Rechtsanwalt Ewald Jenewein, der den Bauern aus dem Pinnistal vertritt. "Die Judikatur des OGH ist sehr klar, daher gehe ich davon aus, dass die zivilrechtliche Klage abgewiesen wird", sagt Jenewein. Strafrechtlich wurde der Fall bereits entschieden, der Staatsanwalt stellte das Verfahren ein. (Steffen Arora, 8.6.2017)