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Briten und Deutsche teilen sich nicht nur die Leidenschaft für Würste: Die zwei Länder sind wirtschaftlich eng miteinander verbunden.

Foto: Reuters/NEIL HALL

London/Frankfurt/Berlin – Die unklaren Machtverhältnisse in Großbritannien haben große Sorgen in der deutschen Wirtschaft ausgelöst, die eng mit der britischen Ökonomie verbunden ist. Mit der Parlamentswahl steige die Unsicherheit in der deutschen Wirtschaft, beklagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK): "Der Fahrplan für die Brexit-Verhandlungen ist nun Makulatur."

Auch Außenhandelspräsident Anton Börner rechnet mit neuen Unwägbarkeiten rund um den Brexit. "Das ist überhaupt kein Grund zur Schadenfreude, denn das ist eine schlechte Nachricht für Brüssel", kommentierte er den voraussichtlichen Verlust der absoluten Mehrheit für die Konservativen von Regierungschefin Theresa May. Mit dem Wahlausgang verlängere sich die Unsicherheit über die Modalitäten des EU-Austritts des Landes und verkomplizierten sich die ohnehin schwierigen Verhandlungen. Börner hält es für möglich, dass von britischer Seite nun eine noch härtere Gangart in den Brexit-Verhandlungen verfolgt wird. Insgesamt sei das Wahlergebnis schlecht für Großbritannien und die EU, und das in einem ohnehin durch Unsicherheiten gekennzeichneten weltpolitischen Umfeld.

Drittgrößter Exportmarkt

Großbritannien ist für Deutschland der drittgrößte Exportmarkt. Der anstehende Austritt des Landes aus der EU hatte aber schon in den letzten Monaten für eine Eintrübung des Warenaustausches zwischen beiden Ländern gesorgt. Nach einem Minus von knapp zehn Prozent im letzten Quartal 2016 sind im ersten Quartal 2017 die deutschen Ausfuhren nach Großbritannien um weitere knapp drei Prozent zurückgegangen – während zugleich die Ausfuhren in die EU um fast sieben Prozent zulegten.

DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben plädierte ungeachtet des britischen Wahlergebnisses dafür, die Themen-Schwerpunkte für die Brexit-Verhandlungen nicht zu ändern. Die Zukunft der EU-Bürger im Vereinigten Königreich müsste einer der ersten Punkte in den Gesprächen bleiben. "Unsere deutschen Unternehmen brauchen eine schnelle Einigung auf den künftigen Status der in Deutschland lebenden Briten und der in UK lebenden EU-Bürger", erklärte Wansleben. Denn deutsche Unternehmen beschäftigen in dem Land 400.000 Mitarbeiter auch aus vielen Mitgliedsländern der EU. Außerdem haben die deutschen Unternehmen ein großes Interesse daran, dass Großbritannien als wichtiger Handelspartner erhalten bleibt.

Britisches Pfund auf Talfahrt

Die Londoner Börse hat nach der Parlamentswahl zum Handelsstart deutlich zugelegt. Analysten begründeten die Aktiengewinne mit der Pfund-Schwäche. Seit der Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen hat das Pfund mittlerweile mehr als zwei Prozent an Wert eingebüßt. Die kräftigen Kursverluste zeigten sich auch im Handel mit dem Euro. Freitagfrüh erreichte der Kurs der britischen Währung den tiefsten Stand seit Mitte Jänner. Auch zum Euro hat das Pfund seit den ersten Hochrechnungen etwas mehr als zwei Prozent an Wert verloren.

Bei den vorgezogenen Wahlen hat die konservative Partei der Premierministerin Theresa May die absolute Mehrheit im britischen Parlament verloren. Großbritannien steht damit kurz vor Beginn der Verhandlungen über den EU-Austritt eine komplizierte Regierungsbildung bevor.

Mit der aktuellen Situation eines "Hung Parliament", eines Unterhauses ohne klare Mehrheit, habe die politische Unsicherheit in dem Vereinigten Königreich spürbar zugenommen, schrieb Großbritannien-Experte Sören Hettler von der DZ Bank. Entsprechend deutlich sei auch das britischen Pfund unter Druck geraten. Dies wiederum stützte den Aktienmarkt, da eine schwache Landeswährung den Export ankurbeln könne.

Kein Mandat für harten Brexit

Ein harter Schnitt mit der Europäischen Union ist nach Einschätzung von Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise vom Tisch. "Das Positive an dem Wahlausgang ist, dass es kein Mandat für einen harten Brexit gibt, der für die britische und die Wirtschaft der EU sehr nachteilig gewesen wäre", kommentierte Heise am Freitag.

"Neuwahlen noch vor dem Jahresende sind nicht auszuschließen. Die daraus resultierende politische Unsicherheit wird Pfund, Konsumklima und Investitionen deutlich belasten", prognostizierte der Ökonom. (APA, 9.6.2017)