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Der Chef der britischen Sozialdemokraten, Jeremy Corbyn, bleibt zwar auf dem zweiten Platz, konnte aber 32 Sitze zulegen. Umfragen sahen Labour meist weit hinter den Tories von Premierministerin Theresa May. Der tatsächliche Abstand beträgt nun zwei Prozentpunkte oder 57 Mandate.

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Die Umfragen vor der Wahl kamen dem Wahlergebnis kaum nahe. Mehrheitlich wurde ein Zugewinn an Mandaten für die Tories vorhergesehen. Tatsächlich gewannen sie zwar prozentuell dazu, verloren aber einige Parlamentssitze.

Quelle: APA

Viel wurde vor der britischen Unterhauswahl gemutmaßt, wer vorne liegen könnte – und noch nie lagen die Vorhersagen der Meinungsforschungsinstitute weiter auseinander. Zwar sahen alle renommierten Institute die konservativen Tories von Premierministerin Theresa May als Gewinner aus der Wahl hervorgehen, aber der Vorsprung variierte in der Woche davor zwischen einem und bis zu zwölf Prozentpunkten.

Nur wenige Institute prophezeiten einen Ausgang, der dem tatsächlichen Wahlergebnis nahekam. Mediale Aufmerksamkeit erreichte vor allem die Vorhersage von Yougov. Das 2000 gegründete Markt- und Meinungsforschungsinstitut errechnete zuletzt für die Konservativen einen Stimmenanteil von 42 Prozent mit massiven Verlusten von Parlamentssitzen, Labour würde auf 38 Prozent kommen und auch bei den Parlamentssitzen zulegen. Das tatsächliche Wahlergebnis: 42 Prozent Stimmenanteil für die Tories und 40 für Labour – und auch in Bezug auf Gewinne und Verluste bei der Sitzverteilung lag das in London ansässige Unternehmen näher als viele andere am tatsächlichen Ergebnis.

"Schockierende Umfrage" sah Tories-Verluste voraus

Schon eine Woche zuvor veröffentlichte Yougov eine Umfrage, die in eine ähnliche Richtung deutete. Als die Times dieses Umfrage mit dem Titel "Umfragefirma sieht schockierende Verluste für Theresa Mays Tories bei der Unterhauswahl" veröffentlichte, waren vor allem andere Medien und Konkurrenzunternehmen "schockiert" über den "Mut" der Tageszeitung, eine solche Umfrage auf die Titelseite zu heben.

Obwohl Stephan Shakespeare, Gründungsmitglied und Chef von Yougov, explizit darauf hinweist, dass das Institut kein "hung parliament", ein Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse, vorhergesagt habe, lag diese Möglichkeit im Rahmen der Schwankungsbreite der Umfrage.

Neue Methodik

Grund für die relativ präzise Vorhersage von Yougov könnte deren neue Methodik sein. Zusätzlich zu den klassischen Umfragen wird eine Datenbank mit rund 50.000 Interviews wöchentlich gefüttert. Diese Daten speisen wiederum einen Algorithmus, der eine bestimmte Vorgehensweise zur Lösung eines Problems definiert. In diesem Fall definiert der Algorithmus, wie aus den Daten das vermutliche Wahlergebnis errechnet wird. Das Modell von Yougov errechnet damit Vorhersagen für jeden Wahlbezirk und summiert diese wiederum zu einer nationalen Vorhersage.

Das Modell sei auch schon im vergangenen Juni beim Referendum über den britischen EU-Austritt getestet worden – und habe einen Austritt vorhergesagt. Veröffentlicht wurden diese Ergebnisse damals nicht. Im Gegenteil: Die veröffentlichten Yougov-Umfragen sagten eine Mehrheit für den Verbleib in der EU voraus – und lagen damit genauso daneben wie die Mehrheit der anderen Meinungsforscher.

Nicht erst die Umfragen zum Brexit markierten den Beginn einer Vertrauenskrise in Bezug auf die Ergebnisse der Meinungsforscher. Bei der Unterhauswahl 2015 wurden unklare Mehrheitsverhältnisse aufgrund eines sehr knappen Ergebnisses vorhergesagt. Tatsächlich kam es zu einem Erdrutschsieg der Konservativen.

Unwille an Umfragen teilzunehmen

Die größte Herausforderung für die Branche scheint derzeit zu sein, eine repräsentative Stichprobe der Wählerschaft zusammenzustellen. Nur eine solche ermöglicht valide Aussagen.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Mehr und mehr Menschen weigern sich, an Umfragen teilzunehmen, und die Meinungsforscher wissen auch nicht, ob sich die Gruppe der Verweigerer in ihrem Wahlverhalten maßgeblich von jenen unterscheiden, die sich befragen lassen. Auch demografische Veränderungen machen Vorhersagen schwieriger. Arbeiter wählen nicht mehr überwiegend sozialdemokratisch. Die Verbindung zwischen sozialem Status und Wahlverhalten wird schwächer. Noch haben die Institute keinen eindeutigen Antworten auf diese Herausforderungen gefunden. Ob die neue Methodik von Yougov ein Weg aus der Krise sein wird, muss sich erst weisen. (Michaela Kampl, 9.6.2017)