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Androzentrismus – und seine Folgen: Denkt über Privilegien und Männlichkeit nach

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Gastautor Gerhard Wagner hat He For She in Wien mitgegründet. Was hinter der UN-Kampagne steckt, die Schauspielerin Emma Watson 2014 vorstellte, wird in diesem Video erklärt.

HeForShe

Immer wieder finde ich mich bei Veranstaltungen rund um die Themen Gender-Equality, Feminismus, Diversity und Co in einem sehr homogenen Publikum wieder. Zumeist gehöre ich zu einer sehr überschaubaren Anzahl an Männern, die fast schon exotisch wirken in diesen weiblich dominierten Veranstaltungsräumen. Immer wieder wird mir die Frage gestellt, warum ich mich als Mann für diese Themen einsetze und mich aktiv als Gründer und Obmann des Vereins HeForShe Vienna für Gender-Equality und Feminismus starkmache. Und immer schwingt bei diesen Fragen sowohl etwas Überraschung als auch vorsichtige Skepsis mit. Die Rolle der Männer im Kampf für gelebte Gleichberechtigung ist nach wie vor sehr umstritten.

Androzentrismus

Wir leben in einer androzentrischen Gesellschaft. Das bedeutet, der Mann steht im Mittelpunkt unserer Gesellschaft. Das Männliche ist die Norm. Alles dreht sich um das eine Ideal und den einen Archetyp der heteronormativen Männlichkeit. Alles Nichtmännliche und insbesondere alles Weibliche ist folglich eine Abweichung von der Norm. Für uns Männer bedeutet das: Wir werden wahrgenommen, gehört, respektiert und treffen Entscheidungen, die kaum jemand infrage stellt. Zumindest solange wir uns diesem Männlichkeitsideal fügen und ihm entsprechen. Doch das ist anstrengend, und vielen Männern fällt es schwer, sich mit dieser Idealvorstellung von Männlichkeit zu identifizieren. Sie leiden unter dem zerstörerischen Druck, diesem Archetyp der Männlichkeit entsprechen zu müssen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dies spiegelt sich auch in ausgeprägten Unterschieden zwischen den Geschlechtern bei Statistiken zu Suizidraten, Kriminaldelikten, (häuslicher) Gewaltausübung, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Schulabbruch und vielem mehr wider.

Wie so oft in Systemen, in denen es eine dominierende und privilegierte Gruppe gibt, findet innerhalb dieser Gruppe sehr wenig Selbstreflexion statt. Dabei wäre diese gerade hier so wichtig und entscheidend. Denn diesem einen Männlichkeitsideal entsprechen zu wollen ist ein aussichtsloses Bestreben. Es gibt unzählige Ausprägungen und Formen von Männlichkeit. Und diese Diversität ist sichtbar. Auf den Straßen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und öffentlichen Plätzen, aber auch im Freundeskreis.

Männlichkeiten

Eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit Männlichkeit(en) ist daher aus zweierlei Sicht von enormer Bedeutung: Zum einen befreien wir Männer uns dadurch selbst aus den Zwängen dieser erdrückenden gesellschaftlichen Vorstellung von der einen Männlichkeit, zum anderen leisten wir damit einen wesentlichen Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft. Denn in unserem androzentrischen Gesellschaftsbild gibt es für Frauen und alle Menschen, die nicht diesem Männlichkeitsbild entsprechen, keinen Platz. Sie werden an den Rand gedrängt, unterdrückt, benachteiligt und quasi in eine Duldungsstarre gezwungen. Die Frauenbewegungen haben seit dem späten 19. Jahrhundert Großartiges geleistet, um diese Duldungsstarre zu durchbrechen. Viele Errungenschaften, die unsere heutige Gesellschaft ausmachen und von denen wir alle profitieren, verdanken wir diesen unzähligen starken Frauen. Und dennoch erhalten sie viel zu wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Viel schlimmer noch: All diese Bewegungen wurden und werden immer wieder gebremst, gestoppt und sogar ganz oder teilweise rückgängig gemacht. Sie führen einen mühsamen und langwierigen Kampf gegen ein System, das sie strukturell und systematisch unterdrückt. Und genau hier sind wir Männer gefragt. Wir müssen uns unserer Privilegien bewusst werden, uns dann aus ebendieser privilegierten Position heraus für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen und diese Freiheitsbewegung unterstützen. Denn genau darum geht es bei Gender-Equality und Feminismus: um Freiheit. Gender-Equality ist nicht die Idee, dass alle Menschen gleich sind oder gleich sein müssen. Feminismus und Gender-Equality bezeichnen die Überzeugung, dass jedem Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten zuteilwerden müssen, um sein Leben so gestalten zu können, wie er das möchte. Denn kein Mensch ist mehr wert als der andere. Jeder Mensch ist gleichwertig. Und auf gar keinen Fall darf das Geschlecht eines Menschen darüber bestimmen, wie er sein Leben zu leben hat.

Wert, nicht bedürftig

Ich möchte damit auf keinen Fall unterstellen, dass Frauen auf unsere Hilfe angewiesen sind. Dennoch gibt es meines Erachtens schwerwiegende Argumente, die für ein Miteinander sprechen: Gemeinsam geht es schneller. Gesellschaftlicher Wandel schreitet wesentlich rascher voran, wenn alle in eine Richtung streben. Solange rund die Hälfte der Gesellschaft auf die Barrikaden steigt, wird sich nur sehr schwer etwas bewegen. Gemeinsam ist aber auch inklusiver. Denn dieser dichotome Machtkampf zwischen Männern und Frauen ignoriert systematisch alle Menschen, die sich keiner der beiden Kategorien zuordnen können oder möchten. Verharren wir in diesem dichotomen Unterdrückungskampf, dann ist die Zukunft entweder weiblich oder männlich. Beides bringt uns nicht ans Ziel. Und dieses Ziel sollte eine inklusive Zukunft sein.

Daher ist für mich die Rolle der Männer eindeutig: Wir müssen uns viel aktiver einbringen. Wir müssen uns intensiver mit unserer eigenen Männlichkeit beschäftigen und uns unserer Privilegien bewusst werden. Wir müssen uns die großartigen Leistungen der Frauenbewegungen als Vorbild nehmen, darauf aufbauen und alle gemeinsam als Gesellschaft an einer gerechteren und menschlicheren Zukunft arbeiten. Doch dazu braucht es Bewusstseinsbildung und viel Aufklärungsarbeit. Wir müssen Männer auf ihre gesellschaftliche Rolle aufmerksam machen. Das ist auch der Auftrag von HeForShe Vienna. Und ich lade alle ein, es uns gleichzutun und mitzumachen. Für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. (10.06.2017)