Bild nicht mehr verfügbar.

Daumen hoch, hieß es für Jeremy Corbyn am Tag nach der Wahl. Der Chef der Labour Party konnte für seine Partei starke Zugewinne verbuchen, obwohl ihm noch vor kurzem eine krachende Niederlage vorausgesagt wurde.

Foto: REUTERS/Marko Djurica

Es sah lange Zeit nicht gut aus für die britische Arbeiterpartei. Als Jeremy Corbyn nach der Niederlage in den britischen Unterhauswahlen den Parteivorsitz von Ed Miliband im September 2015 übernahm, wurde von vielen Seiten der Absturz der Labour Party vorhergesagt. Corbyn konnte zwar eine deutliche Mehrheit bei den Wahlen unter den Parteimitgliedern und registrierten Unterstützern erzielen: Jeweils rund 60 Prozent – zuerst gegen drei und im September 2016 gegen einen Kandidaten – entschieden sich für ihn. Doch vor allem ein beträchtlicher Teil der überwiegend rechtslastigen britischen Presse und fast alle politischen Experten lancierten rasch das Diktum seiner "Unwählbarkeit". Nicht nur die parteipolitischen Gegner attackierten Corbyn, auch die eigene Fraktion im Unterhaus und viele Parteifunktionäre rebellierten. Selbst im Guardian überwogen lange negative Artikel – bevor das traditionell der Arbeiterpartei verbundene Blatt kurz vor der Wahl doch eine Empfehlung für Labour abgab.

Als Theresa May am 18. April 2017 Neuwahlen ankündigte, um sich bei den Brexit-Verhandlungen auf eine stabile Mehrheit im Unterhaus stützen zu können, lag Labour in den Umfragen rund 20 Prozentpunkte hinter den Konservativen zurück. Die Wahlen drohten zum Fiasko zu werden.

In der Tat wirkt der 68-jährige Jeremy Corbyn ein wenig aus der Zeit: Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren profilierte er sich als Linker in der Partei, unter anderem an der Seite des legendären Tony Benn, dessen Sohn Hilary er nach Kritik an ihm aus dem Schattenkabinett entließ. Während seiner langen politischen Karriere als Hinterbänkler hatte er unzählige Male gegen die eigene Partei gestimmt, und immer wieder formulierte er auch problematische Positionen, etwa zur Hamas oder zur Rolle der IRA.

Doch vor allem aber forderte er von Beginn an das, was er auch im Wahlkampf in den Vordergrund stellte: mehr Investitionen in Bildung und Schulen, Verbesserungen im Gesundheitswesen, Abschaffung der Studiengebühren, die Rückverstaatlichung von Post und Eisenbahn und einen Mindestlohn von zehn Pfund. "For the many, not the few", so lautete der Wahlkampfslogan.

Das kam bei vielen Briten besser an als der Wahlkampf der Konservativen, die sozialen Fragen vielfach die kalte Schulter zeigten und sich bei manchen Themen, etwa der "Demenz-Steuer", also der angekündigten Privatisierung von Pflegekosten, in Abseits begaben. Dass Theresa May als Innenministerin rund 20.000 Polizeibeamte entlassen hatte, verhinderte wohl auch, dass die Terrorattacken die Wahlen entscheidend für sie beeinflussten.

Tony Blair, der bisher erfolgreichste Parteichef von Labour, der drei Wahlen gewonnen hatte, warnte vor der "Auslöschung" der Partei unter Corbyn. Doch Blair verkörpert selbst ein entscheidendes Problem. Sein "dritter Weg", die Schaffung einer "New Labour Party", war mit sozialen und ökonomischen Positionen verbunden, die nicht nur viele Linke verstörten. Vor allem die bedingungslose Unterstützung des Irakkrieges überschritt die Grenzen dessen, was viele Anhänger zu akzeptieren bereit waren.

Corbyn ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Tony Blair: Der Pazifist und Vegetarier spricht zumeist ruhig und überlegt, meidet Emotionalisierungen und mediale Inszenierungen. Als im Wahlkampf um den Labour-Vorsitz ein BBC-Reporter die Kandidaten mit dem Auto durch die Stadt fahrend interviewen wollte, kam Corbyn mit dem Fahrrad und setzte sich mit dem Journalisten in ein Café.

Die Wahl konnte seine Partei nicht gewinnen, aber es lief weitaus besser als angenommen – trotz ungünstiger Voraussetzungen: der Brexit-Debatte, der Terroranschläge, von denen man annahm, dass sie eher Konservativen nützen, der starken Konkurrenz der SNP in Schottland. Vor allem bei den jüngeren Wählern konnte Labour sich aber auf eine deutliche Mehrheit stützen. Generell ist die Mobilisierung beachtlich: Hatte Labour im Mai 2015 noch rund 200.000 Mitglieder, so sind es derzeit 528.000. Die Tories haben 149.000 Mitglieder.

Corbyn ist Ausdruck eines Bedürfnisses von Teilen der Wählerschaft nach einer sozial profilierten, klar formulierten Politik, auch nach Authentizität und Glaubwürdigkeit, wohl auch gegen eine entideologisierte Politik "jenseits von links und rechts" (Anthony Giddens).

Vergleiche mit Kontinentaleuropa oder Österreich funktionieren nur eingeschränkt. Kann die Sozialdemokratie dennoch vom Labour-Erfolg lernen? Zumindest was die Mobilisierung neuer Mitglieder (die SPÖ sank von 720.000 Mitgliedern Ende der 1970er-Jahre auf derzeit rund 180.000) oder auch den Zuspruch von Jungwählern betrifft, scheint ein Blick nach Großbritannien sinnvoll. Vor allem aber: Dass man nicht nur mit scheinbar medienwirksamen Persönlichkeiten, mit schicken Anzügen und schönen Gesichtern, sondern auch mit linkem politischem Programm (relativ) erfolgreich sein kann, das konnte die britische Wahl zeigen. (Günther Sandner, 9.6.2017)