Wien – Einst prangte der Name Julius Meinl auf der Fassade des Lagers. Dann zog Zielpunkt ein. Nun versucht hier Billa sein Glück. An traditionelle Lebensmittellogistik erinnert in den weitläufigen Hallen im Süden Wiens jedoch nichts mehr. Sie sind dem Internethandel gewidmet und damit einer äußerst ungewissen Zukunft. Denn bisher spielt sich bei Supermärkten nicht einmal ein Prozent des Umsatzes online ab.
Der Weg durch den großen Hoffnungsmarkt von Billa führt durch Hygieneschleusen und fünf Temperaturzonen bis minus 21 Grad, vorbei an 16 Backöfen, hunderten Kisten und Kommissionierwagen. Gut 13 Kilometer legen Mitarbeiter hier im Schnitt am Tag zurück; ihren optimalen Laufweg ermittelt ein Computer. Sie sind Picker und Personal Shopper auf einer 7250 Quadratmeter großen Einkaufsfläche. Ein Griff zur falschen Ware, und das System schlägt Alarm.
Ruhe am Sonntag
Ab drei Uhr früh geht's los. Die erste Auslieferung erfolgt um acht – vier weitere folgen. Abends um halb zehn endet die letzte Schicht. Am Sonntag kehrt Ruhe ein, auch wenn das Internet an sieben Tage die Woche nicht schläft.
Das Herz der nüchtern-kühlen Hallen sind Feinkostabteilungen. Wie in Filialen wird darin jedes Gramm Wurst und Käse gewogen und verpackt. Der Kunde gibt das Maß vor. Wenige Stunden später landet der online in Auftrag gegebene Einkauf vor seiner Tür.
Zahlt sich das Ganze für Billa finanziell aus? "Nein", sagt Rewe-International-Chef Frank Hensel, der daraus noch nie einen Hehl gemacht hat. Es sei eben eine Investition in die Zukunft, mit Erträgen rechnet sein Konzern im Internetgeschäft frühestens 2021. Nur 30 Millionen Euro setze Rewe in Österreich online bisher im Jahr um. "Das sind Peanuts." Nicht von Anfang an mit dabei zu sein spiele es jedoch nicht. "Abwarten, beiseiteschieben, nur reagieren ist die falsche Strategie." Anders als bei stationären Filialen sei es hier kaum möglich, von der Konkurrenz abzukupfern. "Hier kauft man sich nicht eine Software und macht damit plötzlich auf digital."
Berge an Kundendaten
90 Mitarbeiter zählt Rewe mittlerweile in Wien, die sich auf IT-Entwicklung spezialisieren. Neue Webplattformen und Marktplätze für Dienstleistungen und Produkte, die nicht auf realen Regalen der Supermärkte Platz finden, sollen konzipiert, die Fülle an Kundendaten in wirtschaftlich relevante Formen gegossen werden.
Weitere 90 Beschäftigte sollen bis Jahresende im neuen Lager in Inzersdorf den Onlinehandel ins Rollen bringen. Sieben stationäre Geschäfte, die Weborder bisher abwickeln, werden sie entlasten, sagt Billa-Vorstand Josef Siess. Sie versorgen damit den Raum in und rund um Wien. Hier tummelt sich bisher ohnehin der überwiegende Teil des Onlinegeschäfts mit Lebensmitteln in Österreich.
Noch ist von hektischer Betriebsamkeit keine Spur. Da und dort vereinen Picker drei Bestellungen auf ein Wagerl. Das abgewickelte Volumen soll aber stetig steigen, versichert Siess. Das gesamte Center ist auf ein Umsatzvolumen von bis zu 35 Millionen Euro ausgelegt. Wird es gesprengt, folgt ein zweites. Das Ziel: die Eintrittsbarrieren für den Rivalen Amazon so hoch wie möglich zu gestalten. Die Amerikaner sind mit Lebensmittellieferungen jüngst in Ber- lin gestartet und stehen seither unter massiver Beobachtung der Branche.
"Wir wollen von Amazon nicht kalt erwischt werden", sagt Hensel, der langfristig mit einem Einstieg des Onlineriesen auch in Österreichs Lebensmittelmarkt rechnet. Es gelte sich zu differenzieren. "Wir haben vor Amazon Respekt, aber sicher keine Angst", betont er einmal mehr.
Händler oder Logistiker
In Deutschland startet Rewe im kommenden Jahr sein erstes vollautomatisiertes Lager für reine Internetgeschäfte. In Österreich geben noch primär Menschen Tempo und Takt vor. Bezahlt werden sie nach dem Kollektivvertrag des Handels. Amazon stuft seine Leute in Deutschland als Logistiker ein, was die Sache erheblich günstiger macht und für harte Konflikte mit der Gewerkschaft sorgt.
Billa-Vorstand Siess räumt ein, dass ein Logistik-KV zwar derzeit kein Thema sei, aber durchaus auf der Wunschliste stehe. "Wir zahlen hohe Zuschläge."
Im Schnitt 80 Euro geben Onlinekunden bei Billa je Bestellung aus. Es ist knapp das Sechsfache des durchschnittlichen Einkaufs in einer Filiale. Die Zulieferung hat der Händler an externe Partner ausgegliedert, reklamiert wird eigenen Angaben zufolge wenig. (Verena Kainrath, 10.6.2017)