Die Tapeten verraten die 1970er, hier wohnt ein lesbisches Paar.

Foto: Christine Miess

Wien – In so einem traurigen Zustand wie heute war die Wohnung selten: Eine nackte Glühbirne, nackte Wände, die Küche bleibt kalt. Der Bewohner, ein Datingapp-Entwickler, bestellt sich Essen und er bestellt sich Nutten, mit denen zu schlafen er dann nicht den Mumm aufbringt.

Home of the Not so Brave heißt die neue Produktion der Gruppe Toxic Dreams im Brut und sie springt in loser Folge durch die Jahrzehnte. In einer Wiener Altbauwohnung zwischen 1930 und der Gegenwart begegnen wir dabei vier jüdischen Geschwistern aus einer Schauspieldynastie, einem lesbischen Pärchen, einer Kriegswitwe, einer Wohngemeinschaft, dem bereits bekannten Junggesellen. In der Kontinuität des beherbergenden Gemäuers wechseln mit den Dekaden die Einrichtungsstile, Lebensstile, Probleme.

Victor Bodó hat etwas Ähnliches 2014 am Schauspielhaus Graz gemacht. Ort von Das Ballhaus war ein Tanzsaal an der österreichisch-ungarischen Grenze, in der wandelnden Nutzung schlug sich – wortlos – die wechselvolle Historie des Kontinents nieder.

An den besten Stellen diagnostisch

Im Brut wird Englisch gesprochen. Ein Erzähler stellt die Figuren (Susanne Gschwendtner, Isabella-Nora Händler, Anna Mendelssohn, Markus Zett) vor. Deren Möbel werden rund um das Spielfeld gelagert, vier Lampen harren an der Decke, herabgelassen zu werden. Alexander Kranabetter spielt während der Umbauten auf der Trompete, Paul Horn (Bühne) lässt Wände verschieben.

Not, Tradition, Unbehaustheit oder Aufbruchsstimmung drückt die Möblierung je nachdem aus. An den besten Stellen sind die Szenen zeitdiagnostisch, spiegeln sich in ihnen Umbrüche wider: große wie der Krieg, oder kleine wie der Einzug der asiatischen Küche. An den schwächeren Stellen sind sie bloß kuriose Episoden. Im Fall einer Frau, deren Familie verunglückt ist, hat Yosi Wanunu (Text/Regie) die Sackgasse erkannt und greift sie nicht mehr auf. Andere kehren wieder.

Durch zieht sich das Motiv der Liebe(ssuche). Mit zwei Stunden gerät das Stück ohne echten Spannungsbogen aber etwas lang. (Michael Wurmitzer, 9.6.2017)