"Traiskirchen. Das Musical" hält Rückschau auf 2015, als die menschenunwürdigen Zustände im Lager Traiskirchen publik wurden. Im Bild: Bagher Ahmadi, Hicran Taptik, Julia Bernhardt (v. li.).

Foto: Igor Ripak

Wien – "Kunst ist der politikloseste Raum", proklamierte noch vor wenigen Tagen das Spruchband in Jonathan Meeses Mondparsifal im Theater an der Wien. Stimmt schon: Jede unter das Joch einer Agenda gespannte künstlerische Arbeit geht ihrer Freiheit verlustig und verkommt zum Vehikel einer Botschaft oder wird gar so etwas wie Werbung. Zugleich aber gehören schon die geringsten Fragestellungen und Prämissen, unter welchen am Theater ein Konflikt ausgetragen wird, zu einem politischen Raum.

Sich mit den Missständen im Flüchtlingslager Traiskirchen im Sommer 2015 zu befassen heißt einerseits, diese notwendigerweise zu verurteilen. Die Frage ist andererseits aber auch, wie entgeht man auf der Bühne dem Umstand, bloß Sprachrohr einer ohnehin konsensualen Position zu werden? Schon mit der provokanten Wahl des Genres Musical entschied sich Regisseurin Tina Leisch für eine breitaufgestellte, von allen Seiten befeuerte Show samt Happyend. Dieses "Happyend" wurde bei der Uraufführung am Freitag im Volkstheater zwar nur symbolisch möglich; es bestand aus dünnen, temporär zusammengehaltenen Buchstaben.

Der Schriftzug lädt also dazu ein, ihm nicht über den Weg zu trauen. Viele der insgesamt 33 Darsteller waren in Traiskirchen. Der Abend ist ein Echo auf erdrückende Erfahrungen im Lager selbst, aber auch eine Analyse von Differenzen und brutalen Interessenunterschieden, mit denen eine diverse Gesellschaft zu kämpfen hat. Vor allem aber machen Leisch und Koregisseur Bernhard Dechant deutlich, dass es bei Migrationsfragen de facto immer um Wirtschafts- und Profitinteressen geht, für welche die ärmsten der Menschen geopfert werden. Der Leitsatz lautet: "Vor lauter Feinden sehen wir den Feind nicht mehr."

Weit offen gehaltener Diskussionsraum

Die "Feinde", das sind diejenigen Menschen, die man uns als Feinde präsentiert, da sie angeblich unseren Wohlstand gefährden. Während "der Feind" das Großkapital und seine brutal durchgesetzten Machtinteressen meint. Traiskirchen. Das Musical ist so gesehen entschieden politisches Theater mit allen Vorkehrungen, den Diskussionsraum weit offen zu halten. Ein Cluster aus Konflikten (nicht ganz ohne Plattitüden) und verdichteten Absurditäten, die ferngesteuerte Ordnungsmechanismen einem Menschenleben zumuten: Ausgerechnet ein zum Schutz von Menschen instand gehaltenes Flüchtlingslager wird menschenrechtswidriger Zustände geziehen.

Aus sehr schönen, mit Stäben und Plastikmüll gebildeten Gruppenchoreografien und chorischen Arrangements (Ausstattung: Gudrun Lenk-Wane; musikalische Leitung: Imre Bozoki-Lichtenberger) lösen sich immer wieder einzelne Figuren heraus, um in exemplarischen Begegnungen individuelle Motive und Handlungsweisen sichtbar und diskutierbar zu machen. Auch Texta und Eva Jantschitsch steuerten Lieder bei.

Darin liegen Stärke und Schwäche des Abends zugleich: Alle haben ihren Auftritt – der militante Muslim und die Identitäre, die "Refugees welcome"-Romantikerin und der ehemalige syrische Scharfschütze. Auch Gott kommt mit neuen Waffen vorbei. Das bildet einerseits die Komplexität einer sich verändernden Gesellschaft gut ab, bremst in seiner (v. a. gegen Ende hin allzu langen) Auflistung sämtlicher Stimmen und Schauplätze den Abend aber auch ein.

Schlepper muss zum Arzt

Durch das Wechseln von Rollen bzw. eine wohlweislich atypische Besetzung durchkreuzt das Musical (eine Produktion der Künstlerinitiative Die Schweigende Mehrheit in Kooperation mit den Wiener Festwochen und dem Volkstheater) Stigmatisierungen und rassistische Bilder. So gibt es weder den guten Flüchtling noch den bösen Soldaten. Aber es gibt einen Schlepper – Achtung, Zynismus! -, der wegen seiner körperlich anstrengenden Arbeit dringend zum Osteopaten muss.

Auch wenn ein Happyend ausbleiben muss, behält sich der Abend seinen Witz. Zu den heitersten und handwerklich schärfsten Szenen zählt der Besuch der Innenministerin im Lager Traiskirchen, bei dem Nämliche im Zuge eines Fotoshootings in ein Zeitloch fällt, in dem sich wiederum ein Burkazelt auf die Beine macht, um in einer Tänzelverfolgung der Politikerin in den Allerwertesten zu beißen.

Solch unverbrauchte Komik tat dem Abend gut. Am Ende gab es sogar stehende Ovationen. (Margarete Affenzeller, 11. 6. 2017)