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Im vergangenen Jahr machte Premierministerin Theresa May (Mi.) Boris Johnson (re.) zu ihrem Außenminister, um ihn unter Kontrolle halten zu können. Ob das jetzt noch gelingt?

Foto: Reuters / Stefan Rousseau

Nach der verzockten Wahl ging am Wochenende die Demontage der schwer angeschlagenen Premierministerin Theresa May mit unverminderter Härte weiter. Die nordirischen Unionisten dementierten in der Nacht zum Sonntag, dass ihre Duldung der konservativen Minderheitsregierung bereits beschlossene Sache sei.

Verteidigungsminister Michael Fallon kündigte "mehr gemeinsame Entscheidungen im Kabinett" an. Hingegen sprach der frühere Finanzminister George Osborne aus, was viele Parteifreunde denken: Die Premierministerin sei politisch "eine Tote auf Urlaub". Etwas weniger brutal drückte der stramm konservative Telegraph on Sunday aus: May sei "im Amt, aber nicht an der Macht". Das Blatt zitierte damit ein berühmtes Bonmot über den glücklosen Tory-Premier John Major (1990-1997).

Wie geschwächt May dasteht, verdeutlichten die Nachrichten über das neue Kabinett: Die Premierminister holte mit Michael Gove zwar einen ihrer Kritiker ins Kabinett und machte den bisherigen Arbeitsminister Damian Green zum Kabinettschef und de facto Vize-Premier, in den Ressorts Finanzen, Brexit, Inneres, Äußeres und Verteidigung bleibt aber alles beim Alten. Im Wahlkampf hatten Mays Vertraute vor allem Finanzminister Philip Hammond systematisch attackiert, weil dieser für einen weichen Brexit eingetreten war.

Bürochefs zurückgetreten

Mays in der konservativen Partei als Rüpel verschriene Bürochefs Fiona Hill und Nick Timothy traten am Samstag zurück und übernahmen die Verantwortung für die desaströse Wahlkampagne. Beobachter werteten auch dies als Schwäche der Premierministerin, schließlich seien Berater immer nur so gut wie die Chefin.

Hammond gehörte offenbar zu jenen, die May zur Trennung von dem toxischen Duo geraten hatten. Zusätzlich ließ er durchsickern, er habe von May die Zusicherung erhalten, dass in den Brexit-Verhandlungen die Stimme der Wirtschaft eine größere Rolle spielen werde. Alle großen Unternehmen und Wirtschaftsverbände halten Mays Kurs auf den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion für katastrophal.

Johnson dementiert

Brexit-Minister David Davis wird in London ebenso als möglicher May-Nachfolger gehandelt wie Außenminister Boris Johnson. Offenbar ist dieser von mehreren Kabinettskollegen zur Kandidatur gedrängt worden. Johnson wies jegliche Ambition als "Unsinn" (tripe) von sich. Allerdings sind seine Dementis ähnlich glaubwürdig wie sein Versprechen in der EU-Kampagne vom vorigen Jahr, nach dem Austritt könne das Land umgerechnet rund zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für das Nationale Gesundheitssystem NHS ausgeben.

Diese Aussage hänge dem Brexit-Vorkämpfer "als Klotz am Bein", sagt seine PR-Beraterin Jo Tanner. Der Mangel an aussichtsreichen Alternativkandidaten könnte May in die Hände spielen. May will ihr Kabinett zusammenstellen, ehe sie sich Dienstagabend ihrer dezimierten Fraktion im Unterhaus stellen muss.

Renaissance im Norden

Im britischen Norden erlebten die Tories eine erstaunliche Renaissance: Statt bisher einem einzigen Vertreter machen jetzt 13 konservative Schotten in London Politik. Das stärkt die Position der charismatischen Regionalparteichefin Ruth Davidson. Die in lesbischer Gemeinschaft lebende gelernte Journalistin ließ ihre Londoner Parteichefin das neugewonnene Selbstvertrauen deutlich spüren. May musste ihr ausdrücklich bestätigen: Die zur Stützung der Minderheitsregierung notwendigen Unionisten Nordirlands erhalten keinen Einfluss auf die liberale Gesellschaftspolitik der Konservativen in Großbritannien, wo seit 2014 die gleichgeschlechtliche Ehe legal ist.

Mit DUP-Chefin Arlene Foster, die selbst kein Mandat im Unterhaus hat, verhandelte am Wochenende Mays Fraktionschef Gavin Williamson. Nachdem Downing Street am Samstag bereits eine Einigung signalisiert hatte, mussten die Konservativen dann ein öffentliches Dementi verkraften: Die Verhandlungen würden Anfang der Woche weitergehen, so die DUP. Deren neue Stärke in Westminster macht eine Einigung mit den irischen Nationalisten in Belfast weniger wahrscheinlich; Verhandlungen darüber sollen im Beisein von Vertretern aus London und Dublin am Montag wieder aufgenommen werden. (Sebastian Borger aus London, 11.6.2017)