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In der somalischen Stadt Baidoa, rund 250 Kilometer westlich von der Hauptstadt Mogadischu, wird Wasser an vertriebene Frauen verteilt.

Foto: Reuters / Feisal Omar

Mogadischu/Johannesburg – Mogadischu, Stadt der Kontraste, die zum Wahnsinn führen können. Am Lido sitzen elegant gekleidete Menschen unter Sonnenschirmen und nippen an ihren Cappuccini: viele von ihnen Heimkehrer aus allen Teilen der Welt, die ihrem verheerten Land und sich selbst eine neue Zukunft schaffen wollten. Und zwischen weiß getünchten Villen der einst als "Perle des Indischen Ozeans" bekannten Stadt steigt die Zahl der aus Zweigen und Plastikplanen gebauten afrikanischen Flüchtlings-Iglos wieder dramatisch an.

Barwako Aden Berda sitzt in einem dieser Lager an Mogadischus Stadtrand. Die gut 30-jährige Frau ist vor wenigen Tagen mit ihren vier Kindern in dem auf 6000 Bewohner angeschwollenen Flüchtlingscamp angekommen. Barwako hatte gehofft, in der Hauptstadt etwas zum Essen zu finden, doch ihre Hoffnung erwies sich als trügerisch. "Wir haben keine Unterkünfte, wir haben kein Brennholz, wir haben nicht genug Nahrungsmittel, die wir verteilen könnten", sagt Zari Ali Mahamud, der Manager des Camps:

Hälfte der Bevölkerung braucht Hilfe

Zum dritten Mal seit 25 Jahren wird Somalia derzeit von einer verheerenden Hungersnot heimgesucht: 1992 forderte eine Dürre 300.000 Opfer, vor sechs Jahren verhungerten hier mehr als 250.000 Menschen. Aktuell ist laut Uno die Hälfte der 13 Millionen Somalier auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die ersten Meldungen über Hungerstode sind bereits eingetroffen: In der Bay-Region sollen nach Angaben von Regierungschef Hassan Ali Kaire innerhalb von zwei Tagen 110 Menschen verhungert sein.

Somalier wissen seit hunderten von Jahren mit Trockenperioden umzugehen – solange ihre Heimat wenigstens politisch stabil ist. Doch schon seit drei Jahrzehnten wird ihr einst von einem Diktator beherrschtes Land von nicht endenwollenden Unruhen heimgesucht. Erst hetzten Clanführer und Warlords die Bevölkerung gegeneinander auf; dann übernahmen Islamisten die Macht, denen alsbald vom Westen unterstützte Truppen aus Somalias Nachbarländern den Krieg erklärten. Seit einigen Jahren herrscht in der zerfallenen Nation eine Art Gleichgewicht: Die vom Westen unterstützte Regierung kontrolliert die Städte, die Islamisten das Land. Und auf dem Land tobt die Dürre besonders verheerend.

Angst vor Al-Schabab

Rebey, mehr als hundert Kilometer westlich von Mogadischu gelegen, ist eines der wenigen Dörfer, das von ausländischen Hilfsorganisationen überhaupt erreicht wird. Die Hälfte der 80 Familien des Dorfs ist bereits in die Städte geflohen, die Kamele und Ziegen sind entweder tot oder am Sterben. Bürgermeister Mohamed Ibrahim Hasan fürchtet nur eines mehr als das fortgesetzte Ausbleiben des Regens: dass die Kämpfer der islamistischen Al-Schabab-Miliz wieder ins Dorf zurückkommen. "Sobald sie anrücken, werden sich die Hilfsorganisationen zurückziehen – und ohne Nahrungsmittelhilfe werden wir sterben." Schon vor sechs Jahren starben die meisten Menschen in den von Al-Schabab kontrollierten Territorien: Die Islamisten ließen partout keine Nahrungsmittelhilfe des verhassten Westens, der "Ungläubigen" und "Kreuzfahrer", auf ihr Gebiet.

Auch heute greift Al-Schabab die Nahrungsmittelkonvois internationaler Organisationen an. Wer die von ihnen kontrollierten Hungerregionen verlassen will, muss das heimlich tun – und kann nicht wieder zurückkehren, weil er sonst als Spion des Westens verdächtigt wird. Unterdessen füllen sich Somalias Städte mit Flüchtlingen an: Allein in diesem Jahr haben bereits mehr als 600.000 Menschen Schutz in Mogadischu, Baidoa oder Kismayo gesucht, fast die Hälfte von ihnen Kinder.

Leere Lager

Selbst wenn sie dort unbehelligt angekommen sind, ist ihre Tortur damit jedoch keineswegs zu Ende. Hilfsorganisationen kommen nicht einmal mehr mit dem Nötigsten nach: Die Lager sind leer. Anfang des Jahres bat die Uno die internationale Gemeinschaft um ein Notbudget von 1,5 Milliarden Dollar für Somalia – gewährt wurde davon bislang ein Drittel. Jetzt sieht sich das Welternährungsprogramm (WFP) gezwungen, ständig seine Rationen zu verringern: "Das bedeutet ganz einfach", meint Andrea Tamburini von der NGO "Action contre la faim", "dass immer mehr Menschen, vor allem Kinder, hungern und schließlich sterben werden." (Johannes Dieterich, 13.6.2017)