Realitätsverweigerung auf Kärntnerisch: "Owe den Boch".

Foto: Günter Jagoutz

Klagenfurt – Seit Walther von der Vogelweide vor 800 Jahren, um sein Honorar geprellt, Kärnten unter wütender Beschimpfung verließ, kommt das Land in der Literatur als schöner Schauplatz der schlimmsten Mängel vor.

Das zieht sich von Franz Sartori bis zu Ingeborg Bachmann und ist auch bei Antonio Fian nicht anders. Nur dort in wundersam melodramatischer Weise, wie die Bündelung von rund zwei Dutzend Fian-Dramoletten in der Uraufführung Owe den Boch am Klagenfurter Ensemble zeigt: ein Strauß verwelkter Hoffnungen auf dem Stegkreuz der einstigen Wörtherseebühne. Das Marterl für zwei verhinderte Beach-Volleyball-Stars. Traurig, aber so wahr, dass Gott erbarm, den allerdings gar keine Schuld trifft.

Möchtegern-Heroen

In der Bühnenumsetzung durch Rüdiger Hentzschel stehen die Ministücke nicht mehr unter dem Druck der Pointe, was ihnen sehr gut tut. Vielmehr lassen sie Kärnten von der manischen Selbstüberschätzung unter seinem vor-vormaligen Landeshauptmann auf die reale Finanzmisere der Gegenwart schrumpfen – ohne dass es vordergründiger politischer Statements bedürfte. Die Möchtegern-Heroen von der ehemaligen Hundewiese, die 1996 zur Beach-Volleyball-Arena aufgebauscht wurde, enden als Security-Angestellte, die Abfall sammeln und in Selbstmitleid zerfließen. Das Volleyballnetz hing zu hoch, die Schule haben sie abgebrochen, von Jörg Haider sind nur die Hypo-Scherben geblieben, die Seebühne ist längst demontiert und das Sportevent abgewandert. Fehlt nur noch, dass "der Wiener" den Wörthersee mit dem Bagger abtransportiert.

Kein anderes Ziel als Resignation

Es ist ein ergreifendes, in der himmelschreienden Realitätsverweigerung seiner Protagonisten auch durchwegs komisches Requiem, das Hentzschel aus Fians Dramolett-Serie extrahiert hat. Michael Kristof-Kranzelbinder und Markus Schöttel verkörpern durchaus authentisch zwei unaufhaltsame Verlierer, die sich im ausufernden Elend immer inniger an die Gefühlsseligkeit des Kärntnerlieds klammern. Ihnen stellt Nadine Zeintl ein resches, der Wirklichkeit fein nachempfundenes "Diandale" gegenüber, das sie sportlich ständig antreibt, ohne dass es ein anderes Ziel gäbe als die Resignation.

"Owe den Boch" bedeutet übrigens, aus dem Kärntnerischen wörtlich ins Gemeinverständliche übersetzt: "Den Bach hinunter". Die Übersetzung bringt den emotionalen Gehalt allerdings nur ungenügend zum Ausdruck. Um ihn zu erfassen, muss man entweder aus Kärnten sein oder zumindest diesen "außerirdischen" Theaterabend erlebt haben. (Michael Cerha, 12.6.2017)