Videobericht der ETH Lausanne.

École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)

Lausanne – Ein internationales Forscherteam unter Leitung der ETH Lausanne hat anhand einer Simulation eines Rattengehirns die Zusammenarbeit von Nervenzellen mathematisch beschrieben. Dadurch entdeckten sie charakteristische Aktivitätsmuster in Reaktion auf äußere Reize, die zuvor nie beobachtet wurden.

Die Forscher untersuchten das Gehirn im Rahmen des "Blue Brain"-Projekts, um die räumliche Anordnung der Reizverarbeitung besser zu verstehen. Dabei gingen sie mit Werkzeugen der algebraischen Topologie der Frage nach, wie die Zusammenarbeit von Nervenzellgruppen im Rattengehirn geometrisch organisiert ist.

Vielfältige Anordnungen

Wie sie im Fachblatt "Frontiers in Computational Neuroscience" berichten, stießen sie dabei auf bisher unsichtbare Verarbeitungsmuster, mit denen Nervenzellen-Familien auf äußere Reize reagieren. Das Team um Kathryn Hess griff auf eine aufwendige Simulation eines Ausschnitts des Rattenhirns zurück. Diese umfasst 31.000 Nervenzellen mit insgesamt acht Millionen Verbindungen – alles auf Basis physiologischer Daten. Auf dieser Grundlage und mit virtuellen Experimenten gelang es den Wissenschaftern, die große Vielfalt an geometrischen Anordnungen zusammenarbeitender Neuronen mathematisch zu beschreiben.

Ihr Fokus lag dabei auf Gruppen paarweise verbundener Nervenzellen, die Informationen austauschen. Die Wissenschafter stellten fest, dass diese sogenannten Cliquen meistens aus drei oder vier Nervenzellen bestehen, was mit experimentellen Beobachtungen am Rattengehirn übereinstimmt. Sie stellten jedoch auch fest, dass größere Cliquen von bis zu acht Neuronen möglich sind.

Die Anzahl der Mitglieder einer Clique bestimmt den Forschern zufolge die geometrische Form, wobei man die Nervenzellen als Punkte, ihre Verbindungen als Linien mit einer Richtung zur Informationsweiterleitung betrachtet werden können. Zwei paarweise verbundene Neuronen liegen auf einer Linie, drei bilden ein flaches Dreieck, vier eine Pyramide mit dreieckiger Basis, fünf und mehr Nervenzellen bilden Polyeder.

Zuhnehmende Komplexität

Durch Beobachtung eines Rattengehirns allein wäre diese Zerlegung in geometrische Formen schwierig gewesen, so die Forscher. Denn die Mitglieder einer Clique können zu verschiedenen Schichten des Rattengehirns gehören und jedes Neuron Teil mehrerer Cliquen sein.

Dank dieser mathematischen Zerlegung stießen die Forschenden denn auch auf die bisher unbekannten Aktivitätsmuster: Durch Experimente am simulierten Rattengehirn konnten sie die Verarbeitung eines äußeren Reizes beobachten, dem Anschnippen eines virtuellen Schnurrhaars. Die daraufhin aktivierten Nervenzell-Cliquen kamen in übergeordneten Mustern zusammen, die sich im Zeitverlauf änderten.

Mit schrittweiser Verarbeitung des Reizes wurden diese übergeordneten Aktivitätsmuster zunehmend komplexer und lösten sich schließlich abrupt auf. Das Gehirn vernetze sich quasi laufend neu, während ein Reiz verarbeitet wird, bis eine Entscheidung getroffen ist, so die Forscher.

"Unsere früheren mathematischen Herangehensweisen hatten Mühe, der Aktivität von Neuronen einen Sinn zuzuschreiben", sagte "Blue Brain"-Projektleiter Henry Markram. Dank der Zerlegung in höherdimensionale Geometrien mache diese Aktivität plötzlich Sinn. Die Studie habe eine völlig neue Tür aufgestoßen, um das Gehirn zu verstehen. (APA, 13.6.2017)