Wer die Harry-Potter-Romane gelesen hat, dürfte sich im britischen Parlament wie zu Hause fühlen. Der Palast von Westminster, so findet Labours Andrew Gwynne, wirke auf Newcomer wie das Zauberinternat Hogwarts: "Nach zwölf Jahren Zugehörigkeit finde ich immer noch neue Ecken und Abkürzungen." Gwynnes Tory-Kollegin Tracey Crouch gibt den neuen Abgeordneten die knappe Anweisung, diese sollten für jeden Termin zehn Minuten früher losgehen als gewohnt, denn: "Sie werden sich verlaufen."

Gestern, Dienstag, hatten die 93 Newcomer und sechs Wiederkehrer dazu Gelegenheit: Zum ersten Mal seit der Wahl am Donnerstag trat das Hohe Haus zusammen. Der 76-jährige Kenneth Clarke waltete seines Amtes als Alterspräsident: Wie Labour-Kollege Dennis Skinner gehört der prominente Konservative dem Unterhaus ununterbrochen seit 1970 an, als viele aus der neuen Kollegenschar noch gar nicht geboren waren. Unter Clarkes Leitung bestimmten die Parlamentarier erneut John Bercow zum Speaker, traditionsgemäß ließ sich der Konservative von einigen Kollegen zum Präsidentenstuhl zerren.

Von dort hat Bercow den besten Überblick über sein bunter gewordenes Haus. 209 der 650 Abgeordneten sind Frauen, deren Anteil stieg von 28,8 auf 32,2 Prozent. 51 (7,8 Prozent) gehören einer ethnischen Minderheit an. Dazu zählt zum ersten Mal eine Frau, die sich zum Sikh-Glauben bekennt: Preet Gill (Labour) vertritt den Wahlkreis Birmingham-Edgbaston, der seit 64 Jahren stets eine Frau nach London geschickt hat. Ihr Glaubens- und Parteibruder Tan Dhesi aus Slough ist der erste Turban-Träger im Unterhaus.

Den nur mehr 317 Tories sitzen im neuen Unterhaus nominell 324 Oppositionsvertreter gegenüber; Bercow und seine Labour-Vertreterin Rosie Winterton stimmen traditionell nicht ab, die sieben Abgeordneten der irisch-republikanischen Nationalistenpartei Sinn Féin wollen ihre Sitze nicht einnehmen. Allerdings haben die zehn Abgeordneten der nordirischen Unionistenpartei DUP angekündigt, sie wollten Regierungsprogramm und Haushalt der Minderheitsregierung mittragen. Ob die erste Regierungserklärung ("Queen's speech") wie geplant am Montag verlesen werden kann, ist noch in Schwebe.

Angebliche Geheimgespräche

Über Einzelheiten verhandelten am Dienstag Premierministerin Theresa May und die DUP-Vorsitzende Arlene Foster, ehe May nach Paris aufbrach. Dort versicherte sie nach einem Treffen mit Präsident Emmanuel Macron, dass "die Brexit-Verhandlungen in der kommenden Woche beginnen können". Am Abend stand zur Auflockerung das Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und England am Programm.

Im Parlament gibt es Spekulationen, ja angeblich "Geheimgespräche" ( Daily Telegraph) darüber, ob das Wahlergebnis die Regierung zu einem weicheren Kurs zwingt. Wichtige Labour-Vertreter wie Brexit-Sprecher Keir Starmer drängen ebenso darauf wie der gerade erst zum May-Vertreter beförderte Kabinettschef Damian Green. (Sebastian Borger aus London, 13.6.2017)