Seit gut einem Jahrzehnt kämpft eine Initiative von EU-Abgeordneten unter dem Schlachtruf "Single Seat" dagegen an, dass das EU-Parlament zwei Tagungsorte mit jeweils voll ausgestatteten Plenarsälen und Abgeordnetenbüros hat: einen am Hauptsitz in der traditionellen "Europastadt" Straßburg, den anderen in der Hauptstadt Brüssel.

"Ein Sitz ist genug", der ewige Reisezirkus sei unpraktisch, die Kosten nicht vertretbar, lautet das Argument. Straßburg solle aufgegeben, das EU-Parlament nur in Brüssel tätig sein, wo auch Kommission und Rat angesiedelt sind.

Nun könnte Straßburg überraschend unverzichtbar werden. Wie aus einem dem Nachrichtenportal Politico zugespielten Dokument aus der Parlamentsverwaltung hervorgeht, ist das Plenargebäude "Paul Henri Spaak" in Brüssel ein schwerer Sanierungsfall. Geht es hart auf hart, muss der riesige Komplex, in dem neben dem Plenum auch Pressezentrum und große Tagungsräume untergebracht sind, sogar ganz abgerissen und neu gebaut werden.

Millionenkosten

Die Kosten dafür werden in zwei Gutachten mit mindestens 30 Millionen Euro beziffert, selbst wenn nur die dringend nötigen Maßnahmen ergriffen werden – vor allem auch, um die Sicherheit für den Fall von Terroranschlägen zu gewährleisten. Das würde aber nicht reichen: Das 24 Jahre alte Haus wird im kommenden Jahrzehnt umfangreich saniert werden müssen. Die Maximalvariante sieht den Neubau vor. Kosten: 430 Millionen Euro. Daran werde man kaum vorbeikommen, meint die deutsche Abgeordnete Monika Hohlmaier. Ein Neubau sei über die Jahre gesehen sogar billiger.

Die Sache hat bei den Abgeordneten für Unruhe gesorgt. Viele zeigten sich überrascht, dass dies jetzt bekannt wird. Denn der Brüsseler Plenarsaal war innen erst vor wenigen Jahren renoviert worden. Nach dem Terroranschlag im März 2016 wurden umfangreiche Sicherheitsschleusen gebaut.

Mehrere Abgeordnete bestätigten, dass Berichte zur Misere bereits seit längerem vorlagen, im Haushaltsausschuss auch besprochen wurden. Generalsekretär Klaus Welle hat den Auftrag erhalten, ein "Zukunftskonzept" zu erstellen. Während die einen sagen, das im Jahr 1993 bezogene Gebäude sei eben nicht mehr auf aktuellem Stand, eine Sanierung normal, munkeln andere, dass der frühere EP-Präsident Martin Schulz die Sache schon vor zwei Jahren schubladisiert habe.

Mit Bekanntwerden der Misere entsteht nun ein gewisser Zugzwang. Ob und wie saniert wird, darüber entscheiden die EU-Abgeordneten selber. In jedem Fall dürften Sanierung oder Neubau einige Jahre in Anspruch nehmen. Dann müssten auch alle "Miniplenarsitzungen" von Brüssel nach Straßburg verlegt werden. Nur die Arbeitsbüros und Sitzungsräume blieben unberührt. (Thomas Mayer aus Straßburg, 13.6.2017)