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Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Welche Hetze noch von der Meinungsfreiheit gedeckt und welche bereits strafbar ist, hängt auch davon ab, wo das Posting gelesen wird.

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Wien – Wer einen anderen in einem öffentlichen Onlineforum grob beleidigt, ihm vielleicht sogar kriminelles Verhalten unterstellt, der macht sich strafbar – ein klarer Fall. Was aber, wenn man eine ganze Gruppe von Menschen beleidigt, sich negativ über Frauen, Migranten, Homosexuelle äußert? Hier ist die Lage schon weniger eindeutig. Zugleich ist das Bedürfnis, solche Fälle geahndet zu wissen, angesichts der Fülle an Hasspostings im Internet größer denn je.

Dass Hetze im Netz meist keine rechtlichen Folgen hat, hat mehrere Gründe. Der wichtigste: Niemand bringt sie zur Anzeige. Zwar ist die Polizei verpflichtet, auch ohne Anzeige tätig zu werden, wenn sie von einem Hassposting erfährt und den Verdacht hat, dass es sich um einen Fall von Verhetzung handeln könnte.

Aber die Zeit, die erforderlich wäre, um gezielt Hasspostings nachzustöbern und alle Fälle aufzuarbeiten, hat niemand. Und Betroffene oder andere Aufmerksame bringen Postings oft nicht zur Anzeige, da sie sich wenig davon erhoffen.

Verhetzungsparagraf

Selbst in Fällen, die wegen des Verdachts auf Verhetzung angezeigt werden, ist die Lage uneindeutig. Laut Gesetz darf man Menschen nicht wegen ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Ausrichtung oder anderer Gruppenzugehörigkeiten in der Öffentlichkeit verächtlich machen. Aber nicht alles, was herabwürdigend ist, ist auch Verhetzung im Sinne des Paragrafen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) legt das Recht auf freie Meinungsäußerung relativ weit aus, um den Staaten enge Grenzen für Einschränkungen der Redefreiheit zu setzen. Diese Vorgaben sind dann auch von allen österreichischen Gerichten zu beachten.

So ist es laut geltender Rechtsprechung beispielsweise noch keine Verhetzung zu sagen, Ausländer seien "zu faul zum Arbeiten", sagte Franz Plöchl, Leiter der Generalprokuratur, bei einer Rechtstagung am Montag in Wien. Die Beleidigung betrifft nämlich nur einen Teilbereich des Lebens, eben die Arbeit. Würde man Migranten jedoch pauschal das Lebensrecht absprechen oder sie auf andere Weise "im unverzichtbaren Kernbereich der Persönlichkeit treffen", wäre es sehr wohl tatbestandsmäßig, sagt Plöchl. "Sofort erschießen, das Gesindel" war diesbezüglich ein eher unstrittiger Fall.

Für alle Beispiele gilt jedoch, dass sie nur dann strafbar sind, wenn sie vor einem größeren Kreis an Menschen gemacht werden – was auch im Fall von Onlinehetze nicht immer der Fall ist.

Shoah-Leugnung im Ausland

Was aber, wenn etwa ein österreichischer User im Internet auf ein Posting stößt, in dem der Holocaust geleugnet wird – und dann feststellt, dass der Kommentar, wiewohl verbotsgesetzwidrig, in einem Land gepostet wurde, das Holocaustleugnung nicht unter Strafe stellt? Ist die österreichische Justiz in solchen Fällen überhaupt zuständig, kann das Posting hier zur Anzeige gebracht werden?

Ja, meint Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes von der Uni Wien, die derzeit an der Universität Bremen lehrt und forscht. Zerbes argumentiert, dass auch dann, wenn die Handlung des Postens im Ausland gesetzt wurde, das Posting trotzdem in Österreich einen sogenannten Taterfolg verwirklicht hat, strafrechtlich ausgedrückt. Damit werden auch die österreichischen Behörden für den Fall zuständig.

Noch eindeutiger als beim Verbotsgesetz sei die Frage, ob Österreich zuständig sei, bei der Verhetzung geregelt. Denn hier steht sogar im Gesetzestext, dass es reicht, wenn eine Verunglimpfung in Österreich "vielen Menschen zugänglich wird". Und das sei im Fall eines öffentlichen Postings wohl der Fall, auch wenn es in Australien oder in der Türkei gepostet wurde, sagt Zerbes – schließlich ist es auch in Österreich "zugänglich".

Im schlimmsten Fall könnte das zu einer "Schwemme an Verfahren" in Österreich führen, sagt Farsam Salimi vom Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, der in einem vielbeachteten Kommentar zum Strafgesetzbuch dieses Problem aufgeworfen hat. Strafjuristen "haben das lange nicht bedacht, dass das auf uns zukommen wird", sagt Salimi zum STANDARD . Wird Österreich zur "Weltpolizei, wenn es um die Verfolgung verpönter Meinungen geht", wie es die Leiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie, Susanne Reindl-Krauskopf, überspitzt formuliert?

Unpräzises Gesetz

Das hänge davon ab, ob der Gesetzgeber eine Klarstellung schaffe, inwiefern ausländische Postings hier einen Taterfolg verwirklichen können, sagt Salimi. Die aktuelle Regelung sei "alles andere als präzis". Eine Variante wäre, dass man die Zuständigkeit Österreichs auf jene Postings eingrenzt, die "österreichische Interessen" berühren, meint Salimi. Denkbar ist aber auch, dass der Oberste Gerichtshof durch seine Rechtsprechung eine Schranke setzt, indem er die Zuständigkeit Österreichs bei Postings ohne inhaltlichen Österreichbezug verneint.

Zerbes plädiert für eine Lösung auf europäischer Ebene. Derzeit bestehe nämlich die Gefahr, dass Gerichte in mehreren EU-Ländern gleichzeitig zum selben Hassposting ermitteln, weil das Posting in jedem einzelnen Land gelesen werden kann. "Die Frage ist dann: Wer verurteilt als Erster?" Es wäre "längst an der Zeit", in Europa eine Zuständigkeitsordnung auszuverhandeln, um solche Parallelverfolgungen zu verhindern, sagt die Strafrechtsprofessorin.

Während das Problem einer Verfahrensschwemme in Österreich ein eher hypothetisches Problem ist, weil es – wie eingangs beschrieben – wohl eher keine Anzeigenflut geben wird, plagen sich die hiesigen Strafverfolgungsbehörden derzeit mit einem anderen Problem: Vor allem Neonazis wählen für ihre Internetpropaganda gezielt Server in jenen Ländern, die keine Strafbarkeit für NS-Wiederbetätigung vorsehen.

So wird es möglich, dass sie ihre Propaganda hierzulande verbreiten, ohne nach dem Verbotsgesetz angeklagt zu werden – denn die österreichischen Behörden scheitern bei der Ausforschung der Täter daran, dass sie mangels Strafbarkeit im Ausland keine Herausgabe der Daten bewirken können.

Österreich und Deutschland wird vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof wegen der historischen Verantwortung dieser Staaten übrigens ein größerer Spielraum zugestanden, öffentliche Sympathiebekundungen für den Nationalsozialismus strafgerichtlich zu ahnden, als das in anderen Staaten der Fall ist. (Maria Sterkl, 15.6.2017)