Soziales Lernen soll die Kompetenz der Kinder im Miteinander stärken. Aber ist das als Schulfach wirklich notwendig?

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Beim Elternabend für die nächste erste Klasse erfahren Britta und Richard, dass ihre zehnjährige Tochter Sophie in den nächsten vier Jahren einen Gegenstand im Stundenplan stehen haben wird, der sich Soziales Lernen nennt. Hierfür haben sich die beiden Klassenlehrerinnen ein genaues Konzept überlegt und hoffen sehr, dass sich das positiv auf die Klassengemeinschaft auswirken wird.

Im Kindergarten von Johannes werden Kinder mit und ohne Behinderungen betreut. Der Bub spielt seit einer Weile sehr gerne mit Benedikt. Beide sind sowohl in ihrer geistigen als auch in ihrer körperlichen Entwicklung sehr unterschiedlich. Sie mögen einander sehr. Am liebsten spielen die beiden gemeinsam in der Lego-Ecke.

Was ist soziales Lernen?

Überall werden Menschen gesucht, die für eine offene Gesellschaft, für Job und Arbeitswelt oder einfach für ein gutes Miteinander soziale Kompetenzen aufweisen sollen und müssen. Was aber meint man, wenn man von "sozialem Lernen" spricht? Darunter wird in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen Unterschiedliches verstanden und ausgesagt.

Beispielsweise spricht man in der Psychologie von "Modelllernen", also davon, dass Menschen ihr Sozialsein durch Interaktion in Situationen und mit Personen üben. Andere Bereiche wie die Sozialpädagogik verstehen unter sozialem Lernen den Erwerb von sozialen Kompetenzen, die zu einem wesentlichen Teil in Gruppen stattfinden.

Hier wird sehr genau zwischen Kompetenzen unterschieden, die durch soziales Lernen gelernt werden können. Es wird betont, dass es keinen Abschluss für soziales Lernen geben kann, denn der Mensch lernt sein Leben lang und kann in unterschiedlichen Lebensbereichen viele ihm eigene soziale Kompetenzen erweitern und ausbauen.

Soziales Lernen als Projekt

Was verspricht man sich davon, Sozialsein als Unterrichts- beziehungsweise Projektthema aufzunehmen? Ist es möglich, Situationen darzustellen und mit Kindern beziehungsweise Jugendlichen dann im "Als-ob" darüber nachzudenken, wie sie hätten sozial handeln können und welche Handlungsalternativen im Alltag das nächste Mal auszuwählen sind?

Der Mensch, das soziale Wesen

Menschen brauchen von Beginn an Beziehungen, um sich weiterentwickeln zu können. Sie brauchen Nähe und Fürsorge und müssen von Anbeginn an zumindest in ihren Grundbedürfnissen versorgt sein, damit sie überleben können.

Im Lauf ihres Lebens erleben Menschen vielerlei Situationen und gelangen dadurch zu Erfahrungen. Diese ermöglichen ihnen, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen und durch Reflexion zu einer Idee zu kommen, wie sie beim nächsten Mal handeln könnten. Zusätzlich bekommen vor allem Kinder vom erwachsenen Umfeld meist schon im Vorhinein gesagt, welche Konsequenzen ihr Handeln haben könnte. Trotzdem brauchen Kinder auch die eigenen Erfahrungen, die sie innerhalb eines gewissen Rahmens notwendigerweise machen müssen.

Kinder und Jugendliche verbringen ihre Zeit vermehrt in Gruppen und in der Interaktion mit anderen Menschen. Sei es im Spiel im Kindergarten, beim offenen Lernen in der Schule oder in unterschiedlichen Freizeitaktivitäten, die auch sehr oft in Gruppen stattfinden.

Lernen Kinder und Jugendliche da nicht automatisch, was es heißt, sozial zu sein und wie ein sozialer Umgang mit anderen Menschen stattfinden kann, sodass diese sich dabei wohlfühlen und einander respektieren? Wenn der Mensch in seinem Wesen sozial ist, wieso braucht er dann so etwas wie Projekte und Unterrichtsfächer, die sich mit sozialem Lernen und Kompetenzausbildung befassen? Was erhofft sich die Gesellschaft davon, ihrem Nachwuchs Sozialsein als Wert in der Schule, im Kindergarten in Projektform oder als Unterrichtsfach angedeihen zu lassen?

Es scheint die Vorstellung zu sein, dass unsere Kinder zu wenig sozial sind, dass die Technisierung der Gesellschaft, die vermehrte und frühe Fremdbetreuung unserer Kinder das initiierte soziale Lernen mehr denn je vonnöten macht.

Die Gesellschaft hat nach einer langen Phase des gemeinschaftlichen Lebens die Förderung der Individualität in den Vordergrund gestellt und kehrt jetzt wieder verstärkt zur Gemeinschaft zurück. Offensichtlich braucht es eine Mischung aus Individualität und sozialem Miteinander.

Soziales Lernen findet immer statt

Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, das heißt, diese Wesensart ist in den Menschen grundgelegt. Sie sind auf andere bezogen, auf die Gesellschaft anderer Lebewesen und die Interaktion mit diesen angewiesen. Sie können selbstverständlich auch Zeit ganz alleine verbringen – und manche Menschen ziehen das vor, andere wiederum können das gar nicht aushalten –, aber die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist für Menschen eine wichtige Grundlage. Von Bedeutung ist auch die Entscheidungsfreiheit, zeitweise mit anderen Kontakt zu haben und manchmal alleine sein zu können.

Gemeinsames Leben funktioniert nach gewissen Regeln, die eine Person von Beginn an erfährt. Vom sozialen und kulturellen Hintergrund, der Persönlichkeitsstruktur und den individuellen Eigenheiten abhängig, entwickeln sich die sozialen Fertigkeiten eines Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen.

Beispielsweise ist für Kinder das Spiel eine der besten Möglichkeiten, viele soziale Verhaltensweisen auszuprobieren. Das Miteinander von Bezugspersonen und Kindern bietet in vielen Situationen die Chance, sich und die anderen als sozial zu erleben.

Ihre Erfahrungen?

Welche soziale Kompetenz ist aus Ihrer Sicht die wichtigste? Wie vermitteln Sie Ihren Kindern den sozialen Umgang mit anderen? Posten Sie Ihre Erfahrungen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 16.6.2017)