Die Macht der Informationen, sie wird verkörpert durch einen unüberschaubaren Bürobunker, komplett überbürokratisiert und voll sinnentleerter Technologie. Ein kleiner Fehler im Informationsministerium führt zu einer folgenschweren Verwechslung, ein unbescholtener Bürger wird zum Terroristen abgestempelt: Das ist die düstere Vision von Terry Gilliams Film Brazil aus dem Jahr 1985.

Aktueller ist die britische Serie Black Mirror, die seit 2011 schon heute spürbare Entwicklungen auf die Spitze treibt und uns damit ein äußerst verstörendes Spiegelbild vorhält: Da besteht die Arbeit der Menschen darin, sich auf dem Ergometer abzustrampeln, um sich eine virtuelle Währung zu verdienen, die sie nicht nur für ihren Lebensunterhalt in ihren voll digitalisierten Zellen brauchen, sondern auch, um die Werbung ausblenden zu können, die die allgegenwärtigen Bildschirmwände zumüllt. In einer anderen Folge arbeiten die Menschen nur daran, möglichst gut von anderen bewertet zu werden – schließlich hängt das gesamte gesellschaftliche Leben vom jeweiligen Ranking ab.

Ständig total vernetzt und bewertet – eine Szene aus der Netflix-Serie "Black Mirror".
Foto: David Dettmann/Netflix

Doch wie wird sich unser Arbeitsleben in Zeiten flächendeckender Digitalisierung wirklich gestalten? Werden wir uns irgendwann in einer dystopischen Gesellschaft wiederfinden, wie manche Filme sie skizzieren? Oder gibt es doch noch Chancen auf die Erfüllung von Utopien à la Thomas Morus und Francis Bacon, in denen die gerechte Verteilung von Arbeit sowie Forschung und Technik ein besseres Leben ermöglichen?

"In dem heutigen Diskurs um die Digitalisierung der Arbeit, auch Arbeit 4.0 genannt, wird sehr viel unter-, aber auch überschätzt", sagt Annika Schönauer. Die Arbeitssoziologin von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba) beschäftigt sich seit langem mit den Auswirkungen der Digitalisierung.

"Unterschätzt deshalb, weil die wahre Revolution digitaler Technologien unbemerkt stattfindet. Softwaretools wie Blockchain-Datenbanken, die auch die Basis für die Internetwährung Bitcoin sind, werden derzeit eher im kriminellen Bereich genutzt, könnten aber auch ganz neue soziale Innovationen ermöglichen, indem sie Informationen schnell in die Breite bringen", so Schönauer. Überschätzt werde dagegen die Roboterisierung, insbesondere im Sozialbereich. "Wir sind noch weit davon entfernt, dass Roboter den Pflegenotstand lösen."

Big Data und künstliche Intelligenz

Dennoch: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die mobile Vernetzung, virtuelle Plattformen, künstliche Intelligenz und schier endlose Datenspeicher zu Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Neue Arbeits- und Organisationsformen wie Crowdworking und Share Economy brechen traditionelle Strukturen auf, Big Data ermöglicht vollkommen neue Geschäftsfelder. "Nach Moore's Law erhöht sich die Rechenleistung exponentiell. Im Unterschied zu früheren technologischen Neuerungen werden die Folgen der Digitalisierung viel schneller zu spüren sein", sagt Tanja Sinozic vom Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "Neue Arbeitswelt und Digitalisierung" lautete auch das Thema der Jahreskonferenz des ITA, die im Juni in Wien abgehalten wurde.

Wenn von Digitalisierung und Automatisierung die Rede ist, wird schnell die Sorge um steigende Arbeitslosenzahlen laut. Seit die vielzitierte "Oxford-Studie" von Carl Benedikt Frey und Michael Osborne 2013 ein Schreckensszenario heraufbeschwor, das davon ausgeht, dass in den USA 47 Prozent der Arbeitsplätze automatisierbar seien, wird eher abgewiegelt. Eine OECD-Studie von 2016 zeigt, dass im OECD-Schnitt neun und in Österreich zwölf Prozent der Arbeitsplätze potenziell ersetzt werden können. "Es wird zu deutlichen Verschiebungen am Arbeitsmarkt kommen, aber netto werden die Jobverluste nicht dramatisch sein", sagt Annika Schönauer, die im aktuellen Sozialbericht die Auswirkungen von Arbeit 4.0 beschreibt.

Grafik: Fatih Aydogdu

Während in Handel, Logistik und Verwaltung deutlichere Rückgänge an Jobs absehbar sind, wird es etwa im Bereich Softwareentwicklung und im Gesundheitsbereich weiter Zuwächse geben. "Überall, wo es wiederkehrende Geschäftsfälle gibt, wo Entscheidungen aufgrund von klar definierten Daten gefällt werden oder Muster erkannt werden müssen, gibt es ein hohes Potenzial für Automatisierung", sagt Bernhard Dachs vom Austrian Institute of Technology (AIT). "Mit der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen können aber auch immer mehr kognitiv anspruchsvollere Aufgaben durch Technologie ersetzt werden."

Einschneidende Veränderungen erwarten uns nicht nur dabei, was wir in Zukunft arbeiten, sondern vor allem dabei, wie wir arbeiten. Das sind die wichtigsten Trends, Tendenzen und Perspektiven:

I. Virtuelle Akkordarbeit

Sie heißen "Clickworker", "Upwork" oder "Amazon Mechanical Turk" – Onlineplattformen, die digitale Akkordarbeit vermitteln, auch Crowdwork genannt, erleben derzeit eine Blüte. Damit werden Arbeiten wie die Kategorisierung von Bildern und Videos oder andere Dateneingabetätigkeiten an eine anonyme Masse von "Microworkern" ausgelagert, die pro einzelne Verrichtung mit Bruchteilen von Cents entlohnt werden. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2015 hat gezeigt, dass überwiegend junge, hochgebildete Menschen solche rechtlich völlig ungesicherten Jobs übernehmen, um sich nebenbei etwas dazuzuverdienen.

II. Die Masse macht's

Ebenfalls durch Onlineplattformen vermittelt und deswegen nur eine andere Spielart von Crowdwork ist die Auslagerung digitaler Projektarbeit etwa im Bereich Grafik- und Webdesign, die meist anspruchsvollere und umfangreichere Aufgaben umfasst als reine Clickwork. Unterschieden wird zwischen der Vergabe über ein Ausschreibungsverfahren, bei dem der Bestbieter den Zuschlag bekommt und dann erst den Auftrag erfüllt, und der Vergabe im Wettbewerbsverfahren (Pitch) – bei dem aus mehreren Einreichungen ein Gewinner hervorgeht. "Das betrifft auch hochkomplexe wissenschaftliche Fragestellungen, wo derjenige, der sie am schnellsten löst, eine hohe Summe bekommt – oder auch nur den Ruhm", sagt Tanja Sinozic.

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III. Digital teilen und herrschen

Auch bei Share Economy handelt es sich um die Vermittlung von Dienstleistungen über Onlineplattformen, im Unterschied zu den rein virtuellen Anbietern sind diese aber ortsgebunden – so wie Airbnb für Zimmer, Uber für Taxis, MyHammer für Handwerker und Book a tiger für Reinigungskräfte. Experten sehen den Begriff kritisch, denn: "Was wird denn wirklich geteilt? Wer hat den Gewinn?", wie Sinozic anmerkt. Die Vermittlerfirmen, die keinerlei Verantwortung für Arbeitnehmer übernehmen, bringen schon jetzt ganze Branchen unter Druck. "Mittlerweile gibt es in Dänemark und Frankreich aber Regelungen, dass Uber-Fahrer gewisse Standards einhalten müssen. Auch Airbnb hat einen politischen Diskurs ausgelöst, wie man die Kommerzialisierung des Modells verhindern kann."

IV. Das neue Cybertariat

Die Arbeitsvermittlung im Netz schwebt nach wie vor weitgehend im rechtsfreien Raum. Arbeitsverträge gibt es keine, ebenso wenig wie Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitnehmerschutz. Die Erodierung sozialer Normen und neue Ausbeutungsverhältnisse sind die logische Folge. "Das deutet darauf hin, dass sich eine Kluft bildet: Auf der einen Seite wird es immer mehr Crowdworker geben, die global vernetzt und hoch überwacht standardisierte und schlecht bezahlte Arbeiten durchführen", sagt Annika Schönauer, "auf der anderen Seite werden Höherqualifizierte anspruchsvolle Arbeiten machen, die vernetztes, interdisziplinäres Denken und hohe technische Kompetenzen erfordern." Die Arbeit von besser Ausgebildeten wird schwieriger und anstrengender, während den weniger gut Gebildeten die Herausforderungen abhandenkommen. Noch ist unklar, wie sich ein globales Cybertariat, wie es die renommierte Arbeitsforscherin Ursula Huws bezeichnet hat, zukünftig organisieren könnte.

V. Nomaden zwischen Work und Life

Immer online, jederzeit bereit auf Abruf – die Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben ist schon jetzt für viele ein Problem. Das könnte sich in Zukunft verstärken, aber auch in einem positiven Sinn: Digitale Nomaden, die überall und jederzeit ihren Laptop herausholen oder sich in Coworking-Spaces zusammentun, profitieren von der erhöhten Flexibilität. Große Internetkonzerne versuchen das zu imitieren, indem sie ihre durchdesignten Büros wie große Spielplätze gestalten – mit dschungelartigen Bepflanzungen, Musikräumen und Erholungsinseln. Auf der anderen Seite gibt es einen Gegentrend: Forderungen nach strikteren Trennlinien zwischen Work und Life , um wieder in die Balance zu kommen und Burnout-Syndrome zu verhindern, finden immer mehr Gehör.

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Immer in der Work-Life-Balance bleiben: Minigolfen am Dach von Google in Toronto soll den MItarbeitern beim Abschalten helfen.
Foto: REUTERS

VI. Brüchige Karriereleitern

Neue Arbeitsformen bringen es mit sich, dass die Grenzen zwischen Anstellungsverhältnissen und (Schein-)Selbstständigkeit verschwimmen und Karrieren brüchiger werden. "Arbeitslosen- und Teilzeitphasen werden zunehmen", sagt Schönauer. "Das wirkt sich natürlich auch auf die Pensionsansprüche aus." Die Prämisse, dass höhere Bildung automatisch zu mehr Jobsicherheit führt, wird sich weiter in der dünnen digitalen Luft auflösen, sind Experten überzeugt. "Die soziale Leiter ist schon jetzt viel länger als früher, und es ist viel leichter, dass man ganz herunterfällt", sagt auch Technikfolgen-Expertin Tanja Sinozic. Ständige Weiterbildung und die flexible Aneignung neuer Wissensgebiete werden in Zukunft zum notwendigen Rüstzeug im Jobdschungel gehören.

VII. Digitale Schwarmorganisation

Ausgefeilte Softwaretools können eine lockere Vernetzung zwischen gleichberechtigten Arbeitenden ermöglichen, hierarchische Strukturen würden überflüssig. Je mehr lästige administrative Tätigkeiten digital gesteuert werden, desto mehr Handlungsspielräume werden für Mitarbeiter frei. Ein Paradebeispiel dafür ist die niederländische Pflege-NGO Buurtzorg, in der sich die Mitarbeiter über eine userfreundliche Plattform selbst organisieren und interaktiv austauschen – zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Doch Annika Schönauer warnt vor Verallgemeinerungen: Im Gegensatz zum Trend zur Schwarmorganisation gibt es auch eine Entwicklung in Richtung "polarisierter Organisation", wo es eine klare Trennung gibt zwischen Hochqualifizierten mit Entscheidungsbefugnissen und abgewerteten Ausführenden, die auf Basis automatisierter Befehle handeln.

VIII. Arbeiten, um zu konsumieren

Warum jemanden anstellen, wenn doch der Konsument selbst die Arbeit erledigt? Sei es die Steuererklärung, Online-Banking oder der Kleiderkauf – durch die Digitalisierung übernehmen wir ganz umsonst Tätigkeiten, die früher bezahlt waren. Werden wir es in Zukunft nur mehr mit Avataren und automatisierten Systemen zu tun haben? "Die Frage ist, ob der Kunde das akzeptiert", sagt Bernhard Dachs vom AIT.

Schließlich gibt es schon lange Selbstbedienungskassen und Tests mit automatischer Preisauszeichnung in Supermärkten – durchgesetzt hat sich das aber noch nicht. Nicht immer ist uns aber überhaupt bewusst, welche Arbeit wir nebenbei leisten: Wenn man etwa über den Dienst reCaptcha schwer lesbare Straßenschilder entziffert, um zu beweisen, dass der Zugriff auf Webseiten von einem Menschen und nicht durch ein Programm erfolgt, hilft man dabei Google Earth bei der Digitalisierung seiner Aufnahmen.

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IX. Der Algorithmus als Arbeitgeber

Big Data eröffnet nicht nur neue Arbeitsfelder, sondern verändert auch die Art der Rekrutierung und der Mitarbeiterbewertung. Bekannt ist, dass sich aufgrund von Facebook-Likes genaue Personenprofile erstellen lassen. In Assessment-Centern werden Tonfall, Wortschatz und Emotionalität analysiert, um Wahrscheinlichkeiten für Depressionen und andere physische Erkrankungen zu berechnen. Experten befürchten, dass sich durch Big-Data-Anwendungen Vorurteile verstärken und bestehende Diskriminierungen bei Einstellungen zementiert werden.

Doch was bedeuten diese Tendenzen? Werden wir uns in Zukunft als digitale Tagelöhner über Wasser halten, ständig bewertet und überwacht? Oder werden wir doch eher selbstbestimmt eine Vielzahl von Aufgaben erledigen, unterstützt durch smarte Softwaretools? Der technologische Wandel bricht nicht über uns herein, sondern muss gestaltet werden, sind sich Wissenschafter einig. Nur so könne das positive Potenzial der Digitalisierung voll ausgeschöpft werden: "Intelligente soziotechnische Systeme könnten ergonomisch problematische Arbeit übernehmen und den Beschäftigten als Werkzeuge dienen, die sie dazu befähigen, selbstorganisiert gesündere Arbeit zu leisten", sagt Forba-Expertin Annika Schönauer. "Die Menschen könnten dadurch solidarischer miteinander umgehen und sich leichter austauschen."

Eine Frage der Arbeitszeitverkürzung

Bleibt noch die Frage nach der Zukunft des Sozialsystems: Werden die Arbeitsplätze durch die Automatisierung insgesamt weniger, steht auch der Wohlfahrtsstaat auf dem Spiel. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, um mehr Jobs zu schaffen, ist für Schönauer daher unumgänglich. "Realistisch ist ein Jahreszeitmodell, bei dem es zusätzliche Urlaubswochen gibt – auch wenn eine Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen sinnvoller wäre bzw. kürzere Arbeitstage aus Gründen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie."

Zusätzlich müsse die Finanzierung des Sozialsystems auf neue Beine gestellt werden: "Wenn die Produktivität steigt, aber die Zahl der Beschäftigten sinkt, ist eine Pro-Kopf-Besteuerung nicht mehr zielführend", sagt Schönauer und plädiert für eine Besteuerung der Wertschöpfungskette, Stichwort: Maschinensteuer. Die zusätzlichen Einnahmen könnten zum Lohnausgleich für Schlechterverdienende genutzt werden, die bei einer verkürzten Arbeitszeit deutlich weniger verdienen würden.

AIT-Forscher Bernhard Dachs hingegen sieht wenig Chancen für eine Arbeitszeitverkürzung in der näheren Zukunft. Er ist jedoch überzeugt: "Unsere Fantasie reicht nicht dafür aus, wie die Jobs der Zukunft aussehen werden. Aber: Technologie entsteht immer erst durch Interaktion von Menschen." (Karin Krichmayr, 21.8.2017)