Das deutsche Aussteigerprogramm richtet sich vor allem an Menschen, die bereits in Haft sind.

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Wien – Mit einer neuen Initiative möchte man im Innenministerium den ideologischen Sumpf des Islamismus trockenlegen. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) kündigte zuletzt an, ab Herbst ein Ausstiegsprogramm für radikale Islamisten anzubieten. Details gebe es noch nicht, im Moment würde man sich informieren, wie die Modelle in anderen Ländern konzipiert seien, hört man aus dem Ministerium.

Auf Extremismen jeglicher Art ausgerichtete Ausstiegsprogramme werden in Österreich von NGOs schon seit langem gefordert. Nun scheint ihr Ruf Gehör zu finden. Auch in Deutschland hat man die Relevanz solcher Programme erkannt: In Nordrhein-Westfalen (NRW) gibt es seit 2014 das "API – Aussteigerprogramm für Islamisten". Die Initiative trägt durchaus Früchte: 110 Personen haben es bereits in Anspruch genommen, 45 sind in aktiver Betreuung.

Der Verfassungsschutz übernimmt hier die Aufgabe, die Betroffenen anzusprechen und das Programm anzubieten. In weiterer Folge werden Sozialarbeiter, Islamwissenschafter und auch Moscheenvereine hinzugezogen.

Klar formulierter Ausstiegswille nötig

Jörg Rademacher vom Verfassungsschutz NRW stellt im Gespräch mit dem STANDARD klar: "Das Programm basiert auf Freiwilligkeit, und es muss einen klar formulierten Ausstiegswillen geben. Wird es aus strategischen Gründen benützt, um beispielsweise eine Strafminderung zu erhalten, endet die Betreuung automatisch." Zu 70 Prozent handle es sich nämlich um Personen, die sich bereits in Haft befinden. Das Ziel sei, vor allem Jugendlichen eine neue Perspektive aufzuzeigen und ein anderes "Lifestyle-Paket" anzubieten, sagt Rademacher.

400 Personen in Betreuung

Parallel dazu gibt es "Wegweiser", ein Projekt, das sich auf Prävention konzentriert. Jugendliche sollen davon abgehalten werden, in den gewaltbereiten Salafismus abzurutschen. Die Zahlen sind beachtlich: In den letzten drei Jahren gab es rund 6000 Erstkontakte, 400 Personen befinden sich in längerfristiger Betreuung. Meist sind es nicht die Betroffenen selbst, die sich an "Wegweiser" wenden, sondern Frauen, die bei Personen aus ihrem Umfeld Veränderungen wahrnehmen. Oft sind es Mütter oder Lehrerinnen, die sich an die Stelle wenden.

Das österreichische Pendant dazu ist die Beratungsstelle Extremismus. Seit ihrer Gründung im Jahr 2014 sind insgesamt 1251 Erstanrufe eingegangen, 115 Familien werden persönlich beraten. Dabei dreht es sich bei der Beratungsstelle Extremismus nicht nur um Personen, die sich von der islamistischen Ideologie angezogen fühlen, sondern es werden alle Formen des Extremismus, wie etwa Rechtsextremismus, mit eingeschlossen. Dennoch handelt es sich bei 40 Prozent aller Anrufe um einen Verdacht auf islamistischen Extremismus, wobei es hier oft auch um Fragestellungen geht, die sich mit Religion und Gesellschaft auseinandersetzen.

Ein Pilotprojekt, das sich an Personen richtet, die sich vom radikalen Islamismus abwenden möchten, wird derzeit von der Beratungsstelle Extremismus, NGOs und einigen Ministerien geplant. Das Projekt soll in weiterer Folge in ein Ausstiegsprogramm münden. (Alexandra Unsinn, 16.6.2017)