STANDARD: (bereitet Aufnahmegerät vor) Passt. Sie hassen das Wort "Passt". Weil es den Eindruck erweckt, als hätte man alles im Griff?

Schuh: Erstens das. Und die Art und Weise, wie das Wort gebraucht wird, ist ein Mittelding zwischen Befehl und Gefallensäußerung. Am besten wird es bei den Simpsons verwendet, wenn der Polizeipräsident ausnahmsweise die Wahrheit sagt, indem er formuliert: "Alles passt mir, außer der Gürtel meiner Hose." Aber wenn einen die Leute anspringen und fragen: "Passt alles bei Ihnen?", dann sollte man als skeptischer Mitmensch doch das Gefühl haben: "So kann man nicht miteinander reden."

STANDARD: Das Wort ist zu streng?

Schuh: Seine Verwendung entspringt dem Bedürfnis, in Slogans zu reden. Am liebsten würden sich die Leute wie internationale Behörden verständigen, zueinander sagen: "IBM" oder "SOS". Wobei die Abkürzungen viel mehr ausdrücken, als der Einzelne seinem Nächsten in der Lage ist zu sagen. Das "Passt" vernichtet die Spielräume, die die menschliche Sprache eröffnet.

STANDARD: Passt aber zu den Twitter-Anforderungen: 140 Zeichen.

Schuh: Ja. Und dass man über den mächtigsten Mann der Welt sagen kann, es sei das Menschlichste an ihm, dass er twittert, beschreibt die augenblickliche Lage.

Nachdenker Franz Schuh denkt übers Nachdenken nach und über Glück, das Wienerische Nicht-Verschreien und dem Terror.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ist Trumps Zugang zu den Dingen ein Unglück? Sie kennen sich aus, haben das Buch "Fortuna: Aus dem Magazin des Glücks" geschrieben. Ich will gern über Glück und Unglück mit Ihnen reden und deren Verkleidungen ...

Schuh: Ich will gar nicht über Glück und Unglück und deren Verkleidungen sprechen.

STANDARD: Schade. Worüber denn?

Schuh: Wir haben eh schon ganz gut angefangen.

STANDARD: Dann machen wir da weiter. Sie wollen als nächstes übers Schauspielen schreiben?

Schuh: Über das im Schauspielen steckende Derealisieren: einen Schein erzeugen, den man für eine Art von Wirklichkeit hält. Das ist eine menschenmögliche Leistung von Interesse. Die Frage von Schein und Sein, und ob wir die Chance haben, aus dem Absolutismus der Wirklichkeit aussteigen zu können. Das wird auch versucht, um Machtinteressen durchzusetzen, Nachrichten zu erfinden, denen keine Tatsachen entsprechen und die Welt dann nach den erfundenen Tatsachen zu ordnen.

STANDARD: Sie wären fast einmal im Volkstheater als Spund im "Talisman" aufgetreten. Regisseur Michael Schottenberg hat Sie abgezogen?

Schuh: Das gehört zu meinen schönsten Erinnerungen: Ich wurde von Schottenberg so klug behandelt, dass die Tatsache, dass ich dann nicht auftrat, mein ganzes Glück war. Ich hätte die Bühne nie verlassen, hätte das durchgestanden. Schottenberg aber hat es gesehen: Der passt nicht.

STANDARD: Womit wir beim Glück wären. Hat der Wiener ein besonderes Verhältnis zum Glück? Er ist im Komparativ glücklich, wenn er etwa meint: "Es könnte schlechter gehen."

Schuh: Alle Menschen, Städte, Nationen und die ganze Welt, haben ein besonderes Verhältnis zum Glück. Und zum Unglück: Die Armenier, wenn sie an die Türken denken, jüdische Menschen, wenn sie an den Holocaust denken. In einer Stadt wie Wien hat man ein defensives Verhältnis gegenüber Glücksfällen. Man geht nicht aggressiv heran und macht sein Glück, sondern man fürchtet, dass das, was man gerade für sein Glück hält, eh bald vorbei ist.

STANDARD: Was sich in dem Satz "Verschrei's nicht" manifestiert.

Schuh: Der enthält auch Vernunft. Das Triumphieren, bloß weil man Glück hatte, verdient die Äußerung "Verschreien wir's nicht" schon. Das Wesen des Glücks ist es ja, dass es unverdient ist. Ich habe kein Interesse an Leuten, die Tag und Nacht an ihrer Selbstoptimierung arbeiten und dann in Form von Glückhaben belohnt werden. Diese Art von Glück langweilt mich. Die hingegen, die sich's absolut nicht verdienen, bösartige Kerle, die plötzlich Millionen im Lotto gewinnen: Das ist, was mir in seiner Monstrosität vorschwebt.

STANDARD: Warum sind die Wiener für Sie glücksdefensiv?

Schuh: Weil ihre Erfahrung gegenüber der Obrigkeit und den Umständen sehr stark in die Richtung tendiert: "Da kannst eh nichts machen. Du hast keine Chance auf das, was du dir einbildest." Ich bin ebenfalls so erzogen worden, nach dem kleinbürgerlichen Reglement: "Du wirst kein Glück im Leben haben. Du wirst schuften müssen wie deine Eltern, du wirst hackeln in einer Firma, bis ein gnädiges Schicksal dich in ein Spital einweist oder du es in die Pension schaffst." Leute dieser Schicht, die fast die Mehrheit darstellen, haben erfahren, dass die eigene Leistung nichts nützt, sie sich trotzdem nichts leisten können. Das ist heute nicht mehr so schlimm wie in den 50ern und 60ern, aber es existiert.

STANDARD: Sie haben geschuftet?

Schuh: Nein, ich habe nicht geschuftet. Ich bin eine mir selbst unverständliche Mischung aus Faulheit und Aktivismus. Ich kann die Tage an mir vorübergehen lassen und irgendwann packt mich zum Ausgleich dazu die Arbeitswut, dann glühen die Ohren. Ich mache dann viel und alles leidenschaftlich, bis ich wieder zusammenbreche.

STANDARD: Auch eine Art schuften.

Schuh: Nein, es fehlt, was das Schuften auszeichnet: die Routine. Schuften ist täglich schuften, im Schweiße deines Antlitz’.

STANDARD: Das Glück interessiert Sie, weil es sich einer Definition entzieht?

Schuh: Mich haben am Glück auch autobiographische Details interessiert. Ich habe mich sehr früh mit Gustav Gans aus der "Micky Maus" beschäftigt, er ist ja ein Kontraphänomen zu Donald Duck. Donald wirtschaftet mies vor sich hin, und hätte er nicht die Vitalität und Intelligenz seiner Neffen zur Seite, wäre er dem reichen Dagobert total ausgeliefert – oder dem Gustav Gans, der ständig Glück hat. Da stellt sich die Frage: Ist das noch ein Glück, wenn einer dauernd Glück hat?

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Aus diesen Beeren entstand einst Glück für Franz Schuh, in Form von Soda Himbeer. Caipirinha ist nichts dagegen.
Foto: dpa/Roland Weihrauch

STANDARD: Weil Glück Unterbrechungen braucht?

Schuh: Glück besteht aus Unterbrechungen. Endet das Glück als Routine, wird es ein Dauertriumph, der eigentlich fad ist. Es hat mich aber auch früh die Frage zum Philosophieren gebracht, ob man zu seinem Glück gezwungen werden kann.

STANDARD: Und, kann man?

Schuh: In der Frage, ob es ein Glück durch Zwang gibt, steckt ein paradoxes Problem, in dessen Repertoire man ewig rotiert. Aber es gibt gewisse Stadien der Erziehung, in der man Jugendliche ohne sie brechen zu dürfen, zum Glück zwingen muss – da herrscht der Zwang beim Erzieher und beim Erzogenen. Das sind sehr schwierige Konstellationen, die deshalb in ihrer Schwierigkeit nicht auffallen, weil sie routiniert exekutiert werden.

STANDARD: Ist es in einer Zeit, in der wenige Menschen in glücklichen Umständen leben, nicht absurder Luxus, über Glück nachzudenken?

Schuh: Nachdenken ist überhaupt absurd, egal worüber. Wer nachdenkt, ist schon krank. Das Problem aber ist, dass es keine glücklichen Umstände gibt. Weil je glücklicher die Umstände, desto höher das Anspruchsniveau ...

STANDARD: Die Glückselastizität ...

Schuh: Ja, denn je höher das Anspruchsniveau ist, desto mehr wächst das Unglück. Meine Generation kann das historisch belegen: Was für ein Glück war ein Soda Himbeer in meiner Kindheit. Einfach deshalb, weil es das fast nie gab. Jetzt möchte man Caipirinha haben, und den kann man sich jederzeit kaufen. Das Soda Himbeer ist obendrein noch ideologieanfällig. Weil einem ja gesagt werden kann: "Was regst dich auf? Es genügt auch ein Soda Himbeer, so einer wie du braucht keinen Caipirinha. Es reicht, wenn die Brasilianer ihn in Massen trinken."

Was Lotte Tobisch und Franz Schuh gemein haben? Laut Letzterem das "integrierte Außenseitertum".
Foto: APA/Hochmuth

STANDARD: Die 91-jährige Lotte Tobisch sagte einmal in Bezug aufs Thema Glück, im Alter sei Freude möglich, "aber der Spaß ist vorbei". Sie verehren Tobisch?

Schuh: Ich vermute dass Frau Tobisch und ich etwas gemeinsam haben: Wir beide sind integrierte Außenseiter. Wir haben die Möglichkeit, uns am Rande dieser Gesellschaft so wichtig zu machen, dass der Eindruck entsteht, wir gehörten dazu. In Wahrheit gehört weder die Aristokratin Tobisch, noch der aus proletaroid-kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Mensch Franz Schuh zu dem, was die österreichische Gesellschaft im Innersten zusammenhält.

STANDARD: Ist das ein Glück?

Schuh: Das ist ein Faktum. Solche Positionen kann man gut nützen, aber man kann darin auch elend zugrunde gehen. Frau Tobisch hat gezeigt, dass sie nicht zugrunde geht, sondern sogar den Opernball leiten kann.

STANDARD: Und wie ist das mit dem Spaß, wird der fürs Glück überbewertet?

Schuh: Wichtiger scheint mir der Begriff Freude zu sein. In unserer Kultur gibt es authentisches Leid in Massen, was es viel weniger zu geben scheint, ist authentische Freude. Das hängt schon mit dem Christentum zusammen und mit dem, was Nietzsche über die Christen gesagt hat: Die behaupten alle, sie hätten die Frohbotschaft zu verkünden, sind aber alle furchtbar schlecht aufgelegt.

STANDARD: Kommt man gemäß christlicher Theologie doch auch schon mit einer Sünde auf die Welt.

Schuh: Die Erbsünde ist nicht der schlechteste Mythos. Wenn man den Menschen im Sumpf der Sünde behalten will und ihn als ständig vom Teufel bedroht darstellt, dann ist das undialektisch. Aber wenn man den Sündenbegriff dialektisch anwendet, sagt, dass der Mensch gleich von Geburt an etwas hat, das er überwinden muss, dann kann man eine heitere Religion lehren: eine, die die Sünde überwindet. Aber das ist sehr schwierig, weil die Manipulation der Schuldgefühle schon eine massive Kraft der religiösen Einrede ist.

STANDARD: Weil Sie vom authentischen Leid sprachen: Für viele ist es schon ein Glück zu überleben.

Schuh: Das ist das größte Unglück: Wenn das Leben sich aufs Überleben reduziert. Das gibt es immer wieder und in allen Lebenszusammenhängen. Denn, banal genug, existiert neben dem materiellen noch das geistige Unglück: Wie die Leute einander seelisch quälen.

STANDARD: Apropos. Stürzt der Terror die Welt ins Unglück?

Schuh: In "Brazil", einem Film von Terry Gilliam, gibt es eine Szene, in der nette, alte Damen ihren Tee trinken und daneben explodieren die Bomben. Das bringt die Damen von ihrer Gemütlichkeit nicht ab, es ist Normalität geworden. Wir sehen heute Ansätze dazu. Man empört sich rhetorisch zwar über den Terror, fürchtet aber, dass man ihn in Zukunft als Normalität zu betrachten hat. Man wird dagegen kämpfen, und je mehr man kämpft, desto stärker rückt er ins alltägliche Bewusstsein. Ich glaube, Trump hat recht, wenn er sagt, dass die Täter die Verlierer sind. Er hat insofern Unrecht, als er alles auf der Welt nach diesem Verlierer- und Gewinnerprinzip misst. Aber auf manche trifft es zu. Terroristen sind Leute, die voller Neid auf die Schönheit des friedlichen Lebens starren, diese Schönheit nicht ertragen und sie zur Explosion bringen müssen.

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In einem gibt Schuh US-Präsident Donald Trump recht: Terroristen stammten aus der Gruppe der "Verlierer".
Foto: Reuters/Kevin Lamarque

STANDARD: Müsste man nicht eigentlich traurig sein im Glück? Man weiß ja, dass es endlich ist.

Schuh: Der Mensch ist, was er seine Gefühle betrifft, eine Mixtur. Gefühle geraten ihm leicht durcheinander. Das verbindende Glied dabei ist die Rührung: Man ist von sich selbst so gerührt, dass man durchaus im Glück traurig sein kann. Handke, aus der Erinnerung zitiert, sagt: "Im Augenblick der höchsten Lust wissen, dass es nicht die höchste Lust ist". Die Reflexion macht angeblich den Menschen aus – aber andererseits kann ihn die Reflexion auch beeinträchtigen. Wer das Unglück hat, im Glück ständig an die Vergänglichkeit denken zu müssen, ist ein Opfer der Reflexion.

STANDARD: Hütet man sich vor Unglücklichen, als wären die ansteckend? Brecht sagte, er verachte Leute, die im Unglück sind.

Schuh: Das ist schon so, und es ist so wie mit der Erbsünde, die man überwinden muss. Als "guter Mensch" muss man diese Angst vor Ansteckung überwinden können. Zu sagen, dass man sie nicht hat, ist eine Lüge, leider.

STANDARD: Und für Sie ist das Schreiben ein Glückszustand?

Schuh: So etwas Ähnliches. Wer sagt, Schreiben sei ein Glückszustand, verharmlost den Exzess des Glückes. Und wer sagt, Schreiben habe mit dem Glück nichts zu tun, unterschätzt die belebende Kraft des Schreibenkönnens, des Gefühls, das richtige Wort gefunden zu haben. Der Schreiber kann eine künstliche Welt erzeugen, die einen Bewegungsraum darstellt, der einen zumindest kurzfristig von den Miseren des Daseinskampfes befreit.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht’s im Leben?

Schuh: Darum, genug Glücksmomente zu haben, um daraus die Kraft zu holen, die Alltagsmiseren und Unglücksschläge aushalten zu können. (Renate Graber, 18.6.2017)