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Der ehemalige deutsche Kanzler starb 87-jährig in seinem Haus in Ludwigshafen.

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Deutsch-französische Versöhnung: Kohl mit François Mitterrand

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Truppenbesuch: Kohl an Bord eines Leopard-Panzers

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Kohl mit Gattin Maike Kohl-Richter

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Halle, 10. Mai 1991: Die Leibwächter versuchen Kohl daran zu hindern, einem Eierwerfer nachzustellen.

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Die Einsicht kam erst, als er schon Altkanzler war. "Es steht außer Frage, dass wir auf diesem Weg auch Fehler gemacht haben", sagte Helmut Kohl im November 2007. Ein bemerkenswerter Satz, ging es in diesem Gespräch doch um sein Lebenswerk, die Deutsche Einheit. Und Fehler mochte Kohl, "der Kanzler der Einheit", der Deutschland 16 Jahre lang regierte und die CDU 25 Jahre lang führte, immer weniger eingestehen, je älter er wurde. Oft wurde der am 3. April 1930 in Ludwigshafen geborene dafür verlacht, aber Kohl focht das nicht an.

Spott und Hohn musste er schon zu Beginn seiner bundespolitischen Karriere ertragen. Zunächst, 1971, als er im Machtkampf um den CDU-Vorsitz gegen Rainer Barzel unterlag. Erst zwei Jahre später klappte es mit dem Parteivorsitz, Kohl wurde zudem Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. 1976 kandidierte der Oggersheimer zum ersten von sechs Malen als Kanzlerkandidat. Zwar wurde die CDU stärkste Fraktion im Bundestag, aber es gelang ihr nicht, die sozial-liberale Koalition unter Helmut Schmidt (SPD) abzulösen. Also zog Kohl als Oppositionsführer nach Bonn. Erst 1982 schaffte er es, Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt zu drängen. Fortan regierte die CDU mit der FDP, nachdem Kohl die "geistig-moralische Wende" ausgerufen hatte.

"Birne" und Provinzler

Dass es 16 lange Jahre werden, dachte anfangs kaum einer. "Birne" wurde Kohl genannt und als Provinzler, der sich auf internationalem Parkett nicht bewegen könne, verspottet. Doch in den ersten vier Jahren seiner Regierungszeit verzeichnete Deutschland ständiges Wirtschaftswachstum, die erste Stufe der Steuerreform brachte Entlastungen für Familien. Auch außenpolitisch gewann Kohl an Statur. Unvergessen ist, wie Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand 1984 am Schlachtfeld von Verdun Hand in Hand der Kriegstoten gedachten. Überhaupt setzte Kohl stark auf die deutsch-französische Achse in Europa, stärker als sein Nachfolger Gerhard Schröder (SPD).

Sein Meisterstück jedoch ist und bleibt die deutsche Wiedervereinigung – wenngleich die Historiker immer noch uneinig sind, wie groß Kohls persönlicher Anteil daran war. Klar ist jedoch: Er hat die Chance beherzt ergriffen, als das Fenster dank Michail Gorbatschow offen stand und wollte auch von Anfang an eine bedingungslose Wiedervereinigung, kein zweites Deutschland. "Ich habe nichts Besseres, als auf die deutsche Einheit stolz zu sein", sagte er einmal über sein Lebenswerk.

Wendekanzler

Nach der Wiedervereinigung erreichte Kohls Popularität ihren Höhepunkt. Der Bundestag beschloss 1991, dass Berlin wieder deutsche Hauptstadt werden soll, Kohl ließ ein monumentales Kanzleramt bauen, in dem er allerdings nicht mehr residieren sollte.

Innenpolitisch jedoch wuchs die Unzufriedenheit in den Neunzigerjahren stetig, ebenso die Arbeitslosigkeit. Die "blühenden Landschaften", die Kohl den Ostdeutschen versprochen hatte, wollten nicht und nicht entstehen. "Die Rente ist sicher", ließ Kohl seinen Arbeitsminister Norbert Blüm verkünden und schob die Pensionsreform ebenso auf die lange Bank wie die Steuerreform. Legendär seine Begründung für viele politische Beratungen und Sitzungen, die oft ohne Ergebnis endeten: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt."

Ihm waren die Hände aber auch durch die Sozialdemokraten gebunden, die viele Reformen im Bundesrat blockierten. Vier Millionen Arbeitslose verzeichnete Deutschland 1994, es ist der höchste Stand seit Kriegsende. Der bodenständige Kohl, der am liebsten Pfälzer Saumagen aß und am Wolfgangsee in St. Gilgen urlaubte, verordnete den Deutschen ein Sparpaket (Kürzung der Lohnfortzahlung bei Krankheit, Lockerung des Kündigungsschutzes). Zu Deutschlands Lage meinte er: "Die deutsche Wirtschaft ist nicht schlechter geworden. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass andere besser geworden sind."

Kronprinz Schäuble

In den folgenden Jahren machte er CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble zu seinem Kronprinzen, doch bei der Bundestagswahl 1998 wollte er es noch einmal wissen und trat selbst als Spitzenkandidat an. Die CDU verlor, Schröder wurde Kanzler. Seinen Nimbus als verdienter Altkanzler zerstörte Kohl ab 2000 jedoch selbst, als bekannt wurde, dass er während seiner Kanzlerschaft rund zwei Millionen Deutsche Mark Spendengelder ohne Quittung erhalten hat. Bis zu seinem Tode weigerte sich Kohl, die Namen der Spender zu nennen, da er ihnen sein "Ehrenwort" gegeben hat, und erklärte: "Ich kämpfe um meine Ehre. Dazu gehört, dass ich mein gegebenes Wort halte."

Diese Halsstarrigkeit erleichterte es der CDU unter Führung von Angela Merkel, sich vom "Übervater" zu lösen. Kohl zog sich nach der Spendenaffäre verbittert zurück und schrieb seine dreiteiligen Memoiren. Erst in den vergangenen zwei Jahren hat sich das Verhältnis zu Merkel, seinem ehemaligen ostdeutschen Quoten-"Mädchen" im Kabinett, wieder gebessert. 2001 erlitt Kohl einen schweren privaten Schicksalsschlag. Seine Frau Hannelore, die stets in seinem Schatten stand, nahm sich wegen unerträglicher Schmerzen infolge einer Lichtallergie das Leben. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Kohl mit seiner 35 Jahre jüngeren Lebensgefährtin Maike Richter. Er heiratete sie im Mai 2008 in einer Heidelberger Reha-Klinik. Sie pflegte den schwerkranken Kohl in seiner letzten Zeit, schottete ihn aber auch weitgehend von der Öffentlichkeit und seinen alten Freunden ab. Kohl starb 87-jährig in seinem Haus in Ludwigshafen. (Birgit Baumann aus Berlin, 16.6.2017)