Egon Krenz beim Festival des politischen Liedes im Juni 2017 in Weißenbach am Attersee. Krenz war vom 17. Oktober bis zum 6. Dezember 1989 SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR.

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Weißenbach am Attersee – Er war in den Novembertagen 1989 das direkte Gegenüber des am Freitag verstorbenen BRD-Kanzlers Helmut Kohl: Egon Krenz war vom 17. Oktober bis zum 6. Dezember 1989 als Nachfolger von Erich Honecker SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR. Im STANDARD-Gespräch am Rande des "Festival des politischen Liedes" in Weißenbach am Attersee zollte Krenz dem Verstorbenen Respekt: Dieser sei "aus Sicht der CDU ein großer Politiker" gewesen. "Es bewegt mich immer, wenn ein Mensch stirbt."

"Es hat unter Kohl keine militärischen Auslandseinsätze gegeben", sagt Krenz; ganz im Unterschied zur deutschen Außenpolitik nach der Ära Kohl. Und Krenz – "ich wähle die Linkspartei bin aber nicht Mitglied" – zieht auch innenpolitische Vergleiche: In der Ära Kohl wäre der Steuersatz für die Superreichen wesentlich höher gewesen als heute und man habe sich auf eine solide Rente verlassen können.

Treffen in Moskau

Am Prozess der deutschen Spaltung seit 1945 hätten die USA, die BRD und ihre Verbündeten einen erheblichen Anteil gehabt. Persönlich verantwortlich mache er Kohl für die "Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten" nicht.

Er habe Kohl 1985 in Begleitung des damaligen Staats- und Parteichefs Erich Honecker 1985 in Moskau getroffen. Bei diesem Treffen am 12. März hätten Kohl und Honecker jene Formel gefunden, für die er, Krenz, dann 1997 verurteilt worden sei. (Egon Krenz wurde 1997 wegen Mitverantwortung für das Grenzregime der DDR zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.) Die Formel war, laut Krenz: "Die Sicherheit der Grenzen in Europa inklusive jener zwischen der DDR und der BRD ist die Grundvoraussetzung für die Erhaltung des Friedens in Europa."

Dramatische Situation

In den Tagen rund um die Öffnung der Grenze und dem Fall der Berliner Mauer habe er mehrmals mit Kohl telefoniert, erinnert sich der heute 80-jährige Krenz. Dieser warnte ihn damals, dass das Ganze "aus dem Ruder laufen" könnte und die Gefahr einer direkten Konfrontation der Großmächte bestehe. "Es war die Frage: Blutvergießen oder nicht?", sagt Krenz heute. Heute habe man die Dramatik des 9. November 1989 jedenfalls weitgehend vergessen. Die heute oft gängige Darstellung "eines Volksfestes" sei falsch. Man dürfe nicht aus der Geschichte streichen, dass es gelungen sei, ein Blutvergießen zu verhindern. (Thomas Neuhold, 17.6.2017)