Jean-Claude Juncker und Helmut Kohl im Jahr 2014 vor einem Stück der Berliner Mauer in Kohls Garten in Ludwigshafen.

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Berlin – Der deutsche Altkanzler Helmut Kohl soll nach dem Willen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als erster Politiker überhaupt mit einem europäischen Staatsakt geehrt werden. Dieser solle in Straßburg stattfinden, berichtete die "Bild am Sonntag". In ganz Deutschland nahmen Menschen am Samstag in Kondolenzbüchern und Gedenkwachen Abschied vom "Einheitskanzler".

"Schon zu Lebzeiten wurde Helmut Kohl mit der Ehrenbürgerschaft Europas ausgezeichnet, um seine außerordentlichen Verdienste zu würdigen. Deshalb gebührt Helmut Kohl nun auch ein europäischer Staatsakt, für den ich mich persönlich einsetzen werde", sagte Juncker, der schon am Freitag in der EU-Hauptstadt Brüssel die Flaggen auf halbmast hatte setzen lassen. "Ohne Helmut Kohl gäbe es den Euro nicht", sagte er.

Noch keine Entscheidungen

Der langjährige Bundeskanzler und Wegbereiter der Wiedervereinigung war am Freitag im Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstadt Ludwigshafen gestorben. Offen blieb zunächst, wann und wo es einen Staatsakt in Deutschland geben wird. Entscheidungen seien noch nicht gefallen, hieß es am Samstag aus der Mainzer Staatskanzlei und dem Bundespräsidialamt in Berlin. Selbstverständlich wäre das Land sehr geehrt, wenn ein solcher Staatsakt in seiner Heimat stattfinden würde, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer am Abend im ZDF. "Aber es ist genauso klar, dass die Familie dazu das letzte Wort hat."

Inzwischen nehmen Menschen in ganz Deutschland Abschied von Helmut Kohl. Mit Kondolenzbüchern, Trauerbeflaggung und Gedenkwachen wird an ihn erinnert. Die CDU legte in ihrer Zentrale in Berlin ein Kondolenzbuch aus und richtete ein Online-Kondolenzbuch ein. Am Sonntag wird auch im Bundeskanzleramt ein Kondolenzbuch ausgelegt, ebenso wie in der Mainzer Staatskanzlei.

Junge Union in Ludwigshafen

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird am Montag beim Auftaktspiel zum Confederations Cup gegen Australien mit Trauerflor spielen. Der Weltverband FIFA gestattete am Samstag einen entsprechenden Antrag des Deutschen Fußball-Bundes. Der frühere SPD-Vorsitzende und -Kanzlerkandidat Rudolf Scharping plädierte in der "Welt am Sonntag" dafür, Straßen und Plätze nach Helmut Kohl zu benennen.

Im Gedenken an Kohl versammelten sich am Samstagabend etwa 150 bis 200 Mitglieder der Jungen Union vor dem Wohnhaus des Altkanzlers in Ludwigshafen. Die aus ganz Deutschland angereisten Vertreter der CDU-Nachwuchsorganisation legten Blumen, Kränze und Kerzen vor dem Bungalow im Stadtteil Oggersheim nieder. "Wir wollen unsere Trauer zeigen und Abschied nehmen", sagte der Bundesgeschäftsführer der Jungen Union, Conrad Clemens. Sie seien von der Todesnachricht sehr betroffen gewesen und wollten vor dem Wohnhaus Kohls Abschied nehmen.

Bei der Verleihung des Point-Alpha-Preises an den Liedermacher und früheren DDR-Dissidenten Wolf Biermann legten die 1000 Gäste und Zuschauer im osthessischen Rasdorf eine Schweigeminute ein. Der Altkanzler war im Jahr 2005 zusammen mit Ex-Kreml-Chef Michail Gorbatschow und dem ehemaligen US-Präsident George Bush senior der erste Empfänger des Point-Alpha-Preises gewesen, der Verdienste um die Einheit Deutschlands und Europas würdigt.

Politiker aus dem In- und Ausland ehrten Kohl als großen Staatsmann und würdigten seine Verdienste um die Deutsche Einheit und Europa. Nach UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, Kreml-Chef Wladimir Putin und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron kondolierte in der Nacht auf Samstag auch US-Präsident Donald Trump. "Sein Vermächtnis wird weiterleben", betonte Trump, der das Ableben Kohls zuvor einer Rede mit einer Silbe erwähnt hatte.

In Österreich zollten ebenfalls Politiker aller Parteien dem Verstorbenen Respekt und erinnerten an seinen Einsatz für den EU-Beitritt Österreichs. "Helmut Kohl hat im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte geschrieben. Europa trägt seine Handschrift", schrieb Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Der CDU-Politiker hatte nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989 mit den Staats- und Regierungschefs Russlands, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die Bedingungen für die Deutsche Einheit ausgehandelt. Er gilt als Kanzler der Einheit und Wegbereiter der Europäischen Union.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte Kohl am Freitag als "großen Europäer" und als "Glücksfall für uns Deutsche" bezeichnet. Die Nachricht von Kohls Tod erreichte die Regierungschefin während eines Besuches in Rom. Dort traf sie am Samstag Papst Franziskus. Nach einer Privataudienz im Vatikan sagte Merkel, der Papst habe seine Anteilnahme ausgedrückt und Kohl als "großen Staatsmann" gewürdigt. (APA, 17.6.2017)