Wien – "Hier geht es um etwas ganz Grundsätzliches", sagt Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Rande der Regenbogenparade zum STANDARD. "Ich bin davon überzeugt, dass es egal sein muss, wen man liebt, dass man dieselben Rechte haben muss, und das ist etwas, das wir durchsetzen wollen."

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Am Samstag zog die 22. Regenbogenparade "andersrum" – also gegen die Fahrtrichtung – um den Ring. Angeführt wurde die Parade von zwei in regenbogenfarben bemalten Straßenbahnen der Wiener Linien und einer Gruppe Motorradfahrer. Dahinter folgten Zehntausende zu Fuß, auf Trucks und Kleinbussen. Hermes Phettberg fuhr – wie schon im vergangenen Jahr – im Mercedes vor.

Vergangenes Jahr war Kern der erste Bundeskanzler, der auf einer Regenbogenparade gesprochen hatte. Heuer ist er schon routiniert: "Wow, ist das irre", begrüßte der Kanzler die Teilnehmer bei der Abschlusskundgebung auf dem Rathausplatz. Er habe eine "diebische Freude", dass die Pride "in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist".

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Neben bunten Luftballons, schrillen Kostümen, Glitzer und Partymusik steht die Regenbogenparade, die heuer unter dem Motto "Many colours – one community" um den Ring zog, für die Gleichstellung von Homo- und Bisexuellen, Transgender- und intergeschlechtlichen Personen. Sie war der Höhepunkt des einwöchigen Festivals "Vienna Pride" von 9. bis 18. Juni. Die Veranstalter von der Homosexuelleninitiative (HOSI) rechneten heuer mit einem Rekord von 150.000 Teilnehmern.

Ehe für alle

"Wir versuchen gerade die Damen und Herren von der ÖVP und FPÖ zu überreden – mit mäßigen Erfolg", sagt Kern dem STANDARD in Bezug auf die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Gesundheits- und Gleichstellungsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) hatte vor rund zwei Wochen einen entsprechenden Gesetzesentwurf an den Koalitionspartner übermittelt: "Wir brauchen eine Mehrheit im Parlament, die Volkspartei behauptet jetzt neu und fortschrittlich zu sein, vielleicht werden sie bei so einem Thema, das von vorgestern ist, ihre Meinung ändern. Bisher ist uns das noch nicht gelungen, ich hoffe dass es uns noch in dieser Periode gelingt, sonst werden wir weiterschauen, ob das nach dem 15. Oktober bessere Voraussetzungen hat."

Kern für Selbstbewusstsein

"Es geht darum selbstbewusst zu machen und zu zeigen, dass wir gemeinsam Österreich sind in unserer ganzen Vielfalt", sagt Kern über die Regenbogenparade: "Sexuelle Diskriminierung ist nur ein Ausdruck einer ungleichen Gesellschaft, wir haben das an vielen anderen Punkten genauso – egal ob das Behinderung ist, Religion, Herkunft." Ziel müsse es sein, "eine Gesellschaft zu bauen, in der die Menschen Hoffnung haben und Zuversicht und sich nicht abgrenzen und Sündenböcke suchen".

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Rund 60 Gruppen hatten sich heuer bei der Parade angemeldet, darunter Vereine, die sich für die Gleichstellung homo- und transsexueller Personen einsetzen, sowie auch viele Unternehmen wie etwa die ÖBB. Neben dem Kanzler nutzten heuer auch viele Politiker die Regenbogenparade als Wahlkampfbühne. "Wir sind Jahr für Jahr hier, weil wir ein Zeichen setzen wollen – gleiche Rechte, Ehe für alle: Dafür setzen wir uns parlamentarisch ein, aber auch hier", sagt Neos-Wien Chefin Beate Meinl-Reisinger, die den Pinken-Block anführte, zum STANDARD. "Wir sind für die Öffnung der Ehe, es gibt auch zahllose Anträge von uns, die man nur rausholen und endlich einmal beschließen müsste."

Meinl-Reisinger setzt dabei auf das freie Spiel der Kräfte im Nationalrat bis zur kommenden Wahl: "Vielleicht bietet ja auch ein Parlament, wo auch wechselnde Mehrheiten zugelassen werden, endlich eine Chance dazu."

Lunacek: "Öffentlichen Raum besetzen"

"Es fehlt die völlige Gleichstellung – Ehe für alle ist das Motto für uns", sagt Ulrike Lunacek, Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und grüne Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl. Es sei "unverständlich, dass der neue ÖVP-Chef, der der Jüngste bei dieser Wahl ist, bei diesem Thema relativ alt aussieht".

Neben dem gesetzlichen Teil gehe es aber auch um Sichtbarkeit: "Ich war schon 1996, bei der ersten Parade, dabei. Es ist mir selbst als lesbischer Frau ein Anliegen", sagt Lunacek. Sie habe "nie verstanden", warum sich jemand verstecken solle: "In wen du dich verliebst, das passiert dir, das ist nichts, was du dir aussuchst." Es sei deshalb "wichtig, auch sichtbar und offen zu sein und den öffentlichen Raum zu besetzen".

"Es ist ein Kampf, den wir gemeinsam führen müssen", sagt die Staatssekretärin für Diversität, Muna Duzdar (SPÖ). "Man kann nicht nur für einen Teil der Menschenrechte sein." Duzdar wolle "Solidarität" zeigen: "Es gibt nach wie vor Diskriminierung, es gibt Ausgrenzung."

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"Da die Mehrheit der Gesellschaft für die Öffnung der Ehe ist, gehe ich davon aus, dass es auch im Parlament ankommen muss", sagt der für Antidiskriminierung zuständige Stadtrat Jürgen Czernohorszky. Für den SPÖ-Politiker ist die Regenbogenparade "ein Fest der Liebe und der Vielfalt", bei dem man gemeinsam "für eine Gesellschaft eintritt, in der es wurscht ist, wen man liebt oder wie man so drauf ist".

Gegendemo für den Erhalt der Familie

Anders sah dies eine Gruppe von rund 150 Personen, die sich am frühen Nachmittag zum "Marsch für die Familie" auf dem Albertinaplatz traf. Demonstriert wurde etwa gegen "den Genderwahn", Abtreibung und die Öffnung der Ehe für alle. "Familie = Mutter, Vater, Kinder", war auf den Schildern der Teilnehmer zu lesen. Der parteiunabhängige Nationalratsabgeordnete Marcus Franz, der auf der Kundgebung sprach, nannte die Demonstranten "ein kleines Grüppchen mit einer starken Meinung". In Österreich erlebe man "ein gigantisches linksideologisches Projekt: die Zerstörung der Familie".

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Franz' Rede wurde durch Rufe einer kleinen Gruppe an Gegendemonstranten gestört: "Abtreibung ist ein Menschenrecht", wurde hinter der Polizeisperre skandiert. Etwa 30 "Linksaktivisten, teilweise vermummt", versuchten später die Versammlung durch eine Blockade zu stören, wie die Landespolizei bekanntgab. Die Blockade wurde aufgelöst und die Aktivisten angezeigt. Eine Person verweigerte die Feststellung der Identität und wurde deshalb festgenommen. (Oona Kroisleitner, 17.6.2017)