Viele neue Abgeordnete werden demnächst in das Gebäude der französischen Nationalversammlung im Pariser Palais Bourbon im siebenten Arrondissement einziehen.

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Paris – Um es mit einem historischen Diktum zu sagen: Frankreichs Uhren gehen eben wirklich anders. Mal sehr langsam und träge, dann wieder rasend schnell. Wie sich die tausendjährige Nation in den vergangenen Wochen politisch erneuert hat, grenzt ans Unglaubliche. Im Élysée regiert ein 39-jähriger Jungpräsident, der aus dem politischen Nichts gekommen ist; und über die Nationalversammlung herrscht seit Sonntag eine Legion unerfahrener Abgeordneter, die politisch oft so unsicher sind, dass sie die Teilnahme an lokalen TV-Streitgesprächen vergangene Woche im Dutzend ablehnten.

Kann Macron mit einer solchen Jungmannschaft Frankreich von Grund auf reformieren? Der Staatschef versucht vorzubeugen: Autoritär verlangte er von seinen Abgeordneten eine schriftliche Zusage, dass sie stets für die Regierungsvorlagen eintreten und ohne Widerrede dafür stimmen. Das ist mehr als Fraktionsdisziplin, gleicht eher Kadavergehorsam.

Frankreichs neuer Präsident will die Machtfülle seiner Funktion ausnutzen. Das ist reformpolitisch verständlich, aber demokratisch problematisch. Das Mehrheitswahlrecht verzerrt die politischen Machtverhältnisse mehr denn je: Die Präsidialpartei erringt mit 32 Prozent (im ersten Wahlgang) nach letzten Umfragen das Doppelte an Sitzen. Die konservativen Republikaner und die Sozialisten, die fast schon institutionellen Pfeiler der Fünften Republik 1958, und mehr noch der Front National und die Grünen stellten sich schon vorab darauf ein, in der Nationalversammlung zur Bedeutungslosigkeit zu verkümmern.

Starker Wahlmonarch, schwache Opposition

Frankreich hat damit einen starken Wahlmonarchen, aber keine starke parlamentarische Opposition mehr. Ob das wirklich ein Vorteil ist, muss sich weisen: Umso stärker dürfte die Opposition "auf der Straße" werden, namentlich gegen Macrons Arbeitsmarktreform. Zur eigentlichen Kraftprobe wird es dabei erst nach der Gesetzesdebatte kommen, also außerhalb des Parlaments. Dann wird sich zeigen, ob Macrons überwältigende Mehrheit ein Trumpf ist – oder ein Fluch. Nicht zu vergessen, die politische Legitimation des Präsidenten ist nicht berauschend. Die Wahl zum Staatspräsidenten – mit 24 Prozent im ersten Wahlgang – verdankt er in erster Linie der Ablehnung Marine Le Pens durch die Stimmbürger. Und bei den Parlamentswahlen offenbart die rekordtiefe Stimmbeteiligung, dass es mit der von den Präsidentenberatern bemühten "Macronmania" nicht eben weit her ist.

Viele Wähler waren eher verwirrt angesichts der unklaren Abgrenzung zwischen Bürgerlichen, Sozialdemokraten und Macronisten. Der neue Präsident will zwar eine "Dosis" Verhältniswahlrecht einführen, damit die Parteien wenigstens ansatzweise ihrer Prozentstärke entsprechend im Parlament vertreten sind. Das hatten aber auch mehrere Vorgänger gelobt – und im Élysée schlicht wieder vergessen.

"Jupiter" im Élysée

Als Fazit dreier langer Wahlmonate wird Frankreich nun von einem jungen "Jupiter" – so Macrons neuer Übername in Pariser Zirkeln – und zahlreichen Politlaien regiert, die jede Opposition im Keim ersticken können. Je mehr aber Macron seine Allmacht abriegelt, desto mehr Gelegenheit gibt er gerade seinen populistischen Gegenspielern zur Rechten und Linken, das "System" und seine "Elite" anzuprangern.

Viele neue Abgeordnete werden demnächst in das Gebäude der französischen Nationalversammlung im Pariser Palais Bourbon im siebenten Arrondissement einziehen. (Stefan Brändle aus Paris, 18.6.2017)