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Gestärkter Präsident: Macron muss "Absolutismus"-Kritik kontern.

Foto: REUTERS/Bertrand Guay/Pool

Paris – La République en Marche (LRM) hat bei der französischen Parlamentswahl die absolute Mehrheit geholt. Gemeinsam mit dem zentrumsdemokratischen Juniorpartner Modem kam die Partei von Präsident Emmanuel Macron nach Angaben des Innenministeriums aus dem Stand auf 350 Sitze in der 577-köpfigen Nationalversammlung. Für die absolute Mehrheit waren 289 Sitze nötig.

Die Stimmbeteiligung sank noch tiefer als im ersten Wahlgang und erreichte einen historischen Tiefstwert von 44 Prozent. Die Wähler korrigierten die Erwartungen der Umfrageinstitute, die noch am Samstag von etwa 400 Sitzen für LRM ausgegangen waren. Trotzdem sprachen einzelne Kommentatoren von einer politischen "Flutwelle" für die Macronisten.

Verstärkt wurde sie noch durch das Mehrheitswahlrecht, das nicht auf der prozentualen Parteienstärke beruht, sondern in jedem Stimmkreis den jeweiligen Sieger ins Parlament schickt.

Wahlmüdigkeit

Das Resultat war trotzdem im ganzen Land gleich: Ob auf dem Land oder in der Stadt, im Norden oder im Süden, in den reichen wie den armen Vierteln – die wahlmüden Franzosen wollten Macron offensichtlich mit einer Regierungsmehrheit ausstatten. Um die einzelnen, noch so erfolgreichen LRM-Kandidaten ging es den Wählern nicht einmal: "Ich habe für Valérie Wie-heißt-sie-noch-mal gestimmt", meinte ein Pariser Bürger im schicken 16. Arrondissement, wo Macron schon in den Präsidentenwahlen im Mai abgeräumt hatte.

Der Erdrutschsieg des Macron-Lagers dürfte sogar noch umfassender ausfallen, falls sich einzelne Sozialisten wie Ex-Premier Manuel Valls, aber auch gemäßigte Republikaner dem Macron-Label der "präsidialen Mehrheit" anschließen sollten. Diese Überläufer könnten eventuell eine eigene Fraktion bilden.

Konflikt bei Konservativen

Umso größer ist der Katzenjammer bei den übrigen Parteien. Sie wurden allesamt von der LRM-Welle an die Wand gespült. Die konservativen Republikaner müssen sich mit 137 Abgeordneten abfinden – weniger als jemals seit dem sozialistischen Erdrutschsieg von 1981. Eine Parteispaltung ist nicht ausgeschlossen: Während gemäßigte Neugewählte wie Thierry Solère eine "konstruktive" Haltung gegenüber Macrons Reformkurs einnehmen wollen, plädieren die Anhänger von Ex-Kandidat François Fillon für eine klare Abgrenzung – das heißt Opposition.

Noch schlechter schneiden die Sozialisten ab, erhalten sie doch nur 45 Sitze. Damit erleiden sie einen historischen Einbruch, der keineswegs nur durch das Mehrheitswahlrecht zu erklären ist. Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadelis trat noch am Abend zurück.

Der rechtspopulistische Front National kommt auf acht Abgeordnete – die krasseste Folge des herrschenden Wahlrechts. Die Linkspopulisten um Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) erhalten 17 Sitze und erreichen damit auch ohne die nur teilweise verbündeten Kommunisten Fraktionsstärke.

Scharfe Kritik an "Absolutismus"

Schon am Sonntagabend gab es in den Wahlsendungen zum Teil scharfe Kritik am "Absolutismus" des Präsidenten, der nun über eine willfährige "Einheitspartei" gebiete. Mélenchon schimpfte, in der französischen Nationalversammlung gebe es "weniger Abgeordnete der Opposition als im Russland des Herrn Putin".

Macron ist sich seiner übermächtigen Stellung durchaus bewusst. Schon in der letzten Regierungssitzung hatte er erklärt: "Was uns droht, ist nicht etwa der Absolutismus." Vielmehr befürchtet er, dass er im Parlament wie sein Vorgänger François Hollande bei umstrittenen Reformen in die Minderheit versetzt werden könnte. So zahlreich seine Abgeordneten sind, stellen sie wegen ihrer Unerfahrenheit doch einen Unsicherheitsfaktor dar.

Macron verlangte ihnen deshalb in einem "Vertrag mit der Nation" schriftlich ab, dass sie die Regierungsvorlagen bei der Parlamentsabstimmung mittragen werden. Dieser Stimmzwang widerspricht an sich Artikel 27 der Verfassung, laut der die Stimmabgabe der Abgeordneten "persönlich" ist. Bloß ist in der Nationalversammlung wohl keine Gegenpartei mehr stark genug, den Verfassungshof einzuschalten. Dazu sind im Prinzip 60 Unterschriften von Abgeordneten nötig.

Bei näherem Hinsehen wirken die gewählten "Marcheurs" (Macron-Anhänger) allerdings nicht wie eine unkontrollierbare Truppe blutiger Amateure. Viele waren in subalterner Form schon in der Politik; ebenso viele stammen aus der Privat- oder Zivilgesellschaft, haben dort aber durchaus Führungs- und Verantwortungsbewusstsein bewiesen. Auch dem 39-jährigen Präsidenten, danach zahlreichen Ministern, war Unerfahrenheit vorgeworfen worden; diese anfängliche Skepsis zerstreute sich aber sehr schnell. (Stefan Brändle aus Paris, 18.6.2017)