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Jon Ossoff auf einer Wahlveranstaltung im sechsten Distrikt von Georgia, der seit den 1970er Jahren in republikanischer Hand ist.

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Man kann nicht sagen, dass Jon Ossoff ein rebellischer Außenseiter der Politik wäre. Bereits mit 17 Jahren steuerte er eine politische Karriere an, indem er ein Praktikum in einem Abgeordnetenbüro machte, bei John Lewis, einem der Großen der Bürgerrechtsbewegung. Später studierte er in Washington Internationale Beziehungen und drehte Dokumentarfilme zu Themen wie Korruption und Machtmissbrauch in Afrika. Nunmehr, mit 30 Jahren, strebt er in den Kongress, ein Kandidat, der abgeklärter klingt, als es sein Alter vermuten ließe. Auch wenn Bernie Sanders ihn ausdrücklich zur Wahl empfahl, die feurige Wall-Street-Kritik des Helden der Linken ist nicht Ossoffs Sache. Vielmehr versucht er, mit ausgesprochen moderater Rhetorik, die politische Mitte zu besetzen.

Damit rechnet sich der Hoffnungsträger der Demokraten Chancen aus, am Dienstag eine Kongressnachwahl im eher konservativen Speckgürtel am Rande der Südstaatenmetropole Atlanta zu gewinnen. In einer Gegend mit Hightech-Unternehmen und guten Schulen, mit hohem Durchschnittseinkommen und niedriger Arbeitslosigkeit. Seine republikanische Widersacherin, Karen Handel, eine erfahrene Lokalpolitikerin, hatte er vor zwei Monaten beim ersten Kräftemessen zwar klar besiegt. Doch da er knapp die absolute Mehrheit verfehlte, wird eine Stichwahl fällig. Falls Ossoff auch die gewinnt, wäre es eine kleine Revolution.

Der sechste Distrikt des Bundesstaats Georgia ist nämlich fest in republikanischer Hand, die "Grand Old Party" gibt hier den Ton an, seit mit Jimmy Carter ein Lokalmatador aus Georgia das Weiße Haus verließ. Lange war es Newt Gingrich, der rechte Gegenspieler des Präsidenten Bill Clinton, der den Wahlkreis im Parlament vertrat. Später folgte Tom Price, ein Arzt mit dezidiert konservativen Ansichten, den Donald Trump als Gesundheitsminister in sein Kabinett holte. Ein Sieg Handels würde bedeuten, dass eine Mehrheit im Speckgürtel Atlantas so wählt, wie dort seit zwei Generationen gewählt wird.

Trump-Faktor

Nur kommt eben der Trump-Faktor hinzu, der Schatten eines Präsidenten, der zunehmend an Popularität einbüßt, nicht bei seinen treuesten Anhängern im Rostgürtel, wohl aber in den gediegenen Einfamilienhaussiedlungen Suburbias. Um den Frust der Bildungsbürger einzufangen, spricht Ossoff tadelnd vom "Zirkus in Washington" und betont, dass er für einen unabhängigen, ergebnisorientierten Politikstil stehe.

Über Sachthemen reden, Polemik vermeiden: Bisweilen klingt es, als teste Ossoff ein Konzept, mit dem sich die Demokraten den Aufstieg aus dem Tal erhoffen. Nach Hillary Clintons Niederlage stand die Partei zunächst unter Schock, dann begann sie, ihre Wunden zu lecken und über den künftigen Kurs zu debattieren. Nun, da die Zustimmungsraten Trumps historische Tiefststände erreichen, wittert sie Morgenluft. Nachwahlen in Kansas und Montana hatten ihre Bewerber für den Kongress zuletzt noch verloren, in Georgia soll sich das ändern. Kein Wunder, dass Spender auf beiden Seiten mehr als 50 Millionen Dollar lockermachten, um die Werbung zu finanzieren: Ein kostspieligeres Duell in einem Kongresswahlkreis haben die Vereinigten Staaten noch nie erlebt.

Handel wiederum setzt auf die Art von Polemik, wie Republikaner sie gern benutzen, um Demokraten als weltfremde Träumer zu skizzieren. "Ihre Werte sind dreitausend Meilen von Georgia entfernt, Ihre Werte liegen in San Francisco", hält sie Ossoff entgegen. San Francisco ist für Konservative die Chiffre für müde belächelte Weltverbesserer, die angeblich jeden Bezug zur Realität verloren haben. "Ich habe schon in Georgia gelebt", sagt Handel, an ihren Rivalen gewandt, "da waren Sie gerade geboren". (Frank Herrmann aus Washington, 20.6.2017)