Jennifer Doudna & Samuel Sternberg, "A Crack in Creation – The New Power to Control Evolution". € 14,99 / 304 Seiten. Bodley Head, London 2017

STANDARD: Sie haben mit Ihrer Dissertationsbetreuerin Jennifer Doudna, einer der Erfinderinnen des CRISPR/Cas9-Systems, eines der ersten populärwissenschaftlichen Bücher zum Thema geschrieben. Was war die Motivation dafür?

Sternberg: Die Idee, dieses Buch zu schreiben, hatten Jennifer und ich einige Jahre im Kopf. Zunächst begann das eher als Scherz. Doch dann nahm sie Kontakt zu einer Agentin auf, und so wurde es zu einer realen Möglichkeit. Zu dieser Zeit war ich gerade dabei, meinen PhD zu beenden. Mit der Explosion von CRISPR in der Forschung, etwa in der Landwirtschaft und der Medizin, aber auch aufgrund der kontroversiellen Aspekte der Technologie wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, dass diese Debatte auch außerhalb der Fachwelt geführt wird. Da auch Menschen, die keine Wissenschafter sind, letztlich mit vielen Ergebnissen dieser Forschung konfrontiert sein werden, sollten sie eine Chance bekommen, sich an dem Diskurs über diese Technologie beteiligen zu können. Während der PhD-Phase wird man Experte in einem sehr speziellen Gebiet. Auch als Reaktion darauf dachte ich, dass es nach dem Abschluss eine großartige Möglichkeit wäre, die Geschichte von CRISPR einer breiteren Öffentlichkeit zu erzählen.

Samuel Sternberg ist als Biochemiker in Berkeley tätig.
Foto: Nabor Godoy

STANDARD: Das Buch wird aus der Perspektive von Jennifer Doudna erzählt. Gleichzeitig ist zu lesen, dass Sie es beide gemeinsam geschrieben haben. Wie ist der Schreibprozess verlaufen?

Sternberg: Unser erster Entwurf war nicht in der ersten Person Singular. Wir stellten aber fest, dass es schwierig ist, die Leser zu erreichen, wenn nicht klar ist, wer die Erzählstimme ist. Daher haben wir uns für Jennifers Perspektive entschieden. Beim Schreibprozess war es so, dass ich ein Jahr lang beinahe Vollzeit an dem Buch gearbeitet habe. Der Verleger drängte uns, so wenige technische Details wie möglich auszuführen und das Thema auf die sozialen und ethischen Fragen herunterzubrechen. Es war eine ziemliche Herausforderung für mich – nach all den Jahren in der Forschung -, die Inhalte allgemeinverständlich aufzubereiten. Nachdem ich einen groben Entwurf angefertigt hatte, hat Jennifer sich intensiv in den Schreibprozess eingebracht.

STANDARD: Doudna beschreibt im Buch den Moment, als sie zum ersten Mal das Wort CRISPR hörte. Wie war das bei Ihnen?

Sternberg: Das war im ersten Jahr meines PhD-Studiums in Jennifers Labor. Ich arbeitete zu dieser Zeit in einem Feld namens RNA-Interferenz. Zu CRISPR haben damals nur ein Postdoc und ein Dissertant in ihrer Gruppe gearbeitet. Das erste Mal hörte ich das Wort CRISPR in einem unserer Meetings, bei dem jede Woche eine andere Person ein Update zum jeweiligen Forschungsprojekt präsentierte. Einige Monate später entschied ich mich dazu, meinen PhD zu CRISPR zu machen. Denn damals, 2010, war noch nicht viel darüber bekannt. Wie die Proteine mit den RNA-Molekülen zusammenarbeiten – das war eine Blackbox für uns. CRISPR fühlte sich aufregend an, weil es noch recht unerforscht war. Es gab also eine große Chance, etwas Neues zu entdecken.

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Mithilfe des Cas9-Proteins (grau) und einer Führungs-RNA (pink) kann die DNA (grün) gezielt durchgeschnitten werden.
Foto: Picturedesk/Science Photo Library/ Molekuul

STANDARD: Woran haben Sie in Ihrer Dissertation gearbeitet?

Sternberg: Was mich interessiert, sind die molekularen Interaktionen von Proteinen, RNA und DNA. Mein Hauptprojekt betraf Cas9 mit der Fragestellung, wie dieses Protein in den Buchstaben der DNA genau den gesuchten Abschnitt findet und welche Mechanismen das Protein im Suchprozess verwendet.

STANDARD: Wann kam der Moment, als Ihnen klar wurde, dass das CRISPR/Cas9-System so ein gewaltiger Durchbruch sein würde?

Sternberg: Das kam bei mir bedauerlicherweise später als bei anderen. Ich wünschte, ich hätte schon 2010 realisiert, wie groß dieses Thema ist. 2012 verbrachte ich sechs Monate an der Columbia University und hatte daher ein wenig aus dem Blickfeld verloren, was genau vor sich ging. Als das entscheidende Paper 2012 publiziert wurde, fand ich es sehr interessant, doch da ich weniger über Technologieentwicklung nachdachte, war ich zunächst ein bisschen weniger euphorisch als andere. Aber Anfang 2013, als eine ganze Reihe an Publikationen zu diesem Thema herauskamen – von diesem Moment an hatte ich das Gefühl, alles sei möglich. Und die Explosion hat seither nie aufgehört: Jeden Tag werden neue Ergebnisse präsentiert, Papers publiziert, Unternehmen gegründet.

Ende 2015 hielt der CRISPR-Experte Samuel Sternberg einen TEDMED Talk zum Thema "What if we could rewrite the human genome?".
TEDMED

STANDARD: Wenn man Ihr Buch liest, gewinnt man den Eindruck, dass die möglichen Anwendungen von CRISPR beinahe nur durch unsere Vorstellungskraft limitiert sind. Doch wo liegen die Grenzen dieser Technologie?

Sternberg: Die Gentherapie an menschlichen Zellen im Labor – das wird momentan gerade zur Routine. Aber so einen Erfolg auch im Patienten zu erzielen ist immer noch etwas, bei dem sich sehr viele Leute fragen, ob es tatsächlich so gut funktionieren wird, wie wir alle hoffen. Wie wir im Buch erwähnen, gab es auch andere technologische Durchbrüche, die letztlich nicht das gehalten haben, was sie ursprünglich versprochen hatten. Bei sogenannten In-vivo-Therapien, bei denen Zellen im Körper verändert werden, wird die größte Hürde sein, CRISPR in genügend Zellen einzuschleusen, um einen therapeutischen Effekt für den Patienten zu erzielen.

STANDARD: Wann werden die ersten Krebspatienten mit CRISPR geheilt werden?

Sternberg: Es gibt schon einige klinische Studien – die meisten in China. In den USA sind wir noch im Zulassungsprozess. Generell stellt sich bei Krebspatienten immer die Frage, was Heilung heißt. Manchmal gibt es einen Rückgang, der nicht permanent ist, sondern nur für eine bestimmte Dauer anhält. Aber für Krebspatienten im letzten Stadium ist auch das ein großer Erfolg. Ich bin ziemlich sicher, dass wir in den nächsten Jahren einige derartige Erfolge erleben werden. Mit einer anderen Genom-Editierungs-Methode, Talen, wurde bereits ein Leben gerettet – mit veränderten T-Zellen. Ich nehme an, dass das eines der ersten Gebiete sein wird, wo wir Erfolge sehen werden. CRISPR mit bereits existierenden Methoden der Zelltherapie zu verbinden ist rascher möglich, als neue, komplexere Therapien zu entwickeln.

STANDARD: Jennifer Doudna erzählt im Buch von einem Albtraum, in dem ihr Adolf Hitler begegnete, um von ihr die CRISPR-Technologie zu lernen. Sind bei Ihnen jemals Zweifel aufgekommen, es könnte ein Fehler sein, Ihren wissenschaftlichen Ehrgeiz in eine Sache zu stecken, die sehr missbräuchlich verwendet werden kann?

Sternberg: Ich hatte keine derartigen Albträume, doch ich hatte auch einen Schreckensmoment, über den wir im Buch berichten: Ich hatte ein Meeting mit einer Frau, die ein CRISPR-Baby auf den Markt bringen will – künstliche Befruchtung mit designten Eigenschaften. Vielleicht hätte ich das vorhersehen können, denn zu diesem Zeitpunkt gab es bereits genetisch manipulierte Schweine, Mäuse und Affen. Aber dennoch: Jemanden zu treffen, der das tun will und nicht einmal aus der Wissenschaft kommt, sondern einfach eine Businessidee darin sieht, das hat mich schon sehr schockiert. (Interview: Tanja Traxler, 23.6.2017)