Graeme Maxton kritisiert das neoliberale Wirtschaftssystem.

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Grame Maxton, Generalsekretär des Club of Rome, fordert eine Ein-Kind-Politik in Europa und weniger Demokratie in Umweltfragen. Er spricht über sein Buch "Ein Prozent ist genug", über Kapitalismus und wieso vegane Ernährung der Umwelt nicht unbedingt hilft.

STANDARD: Zugespitzt formuliert prognostiziert der Club of Rome seit 40 Jahren den Weltuntergang. Ist es bald so weit?

Maxton: Wir haben vorausgesagt, dass das wirtschaftliche und ökologische System in den 2030er- oder 2040er-Jahren kollabieren wird. Ich würde sagen, dass der Verfallsprozess vor zehn Jahren begonnen hat und sich in 20 Jahren zuspitzt. Es geht jetzt nicht mehr darum, den Klimawandel zu umgehen, sondern ihn zu managen.

STANDARD: Wie kann der Effekt abgeschwächt werden?

Maxton: Zuerst müssen wir aufhören, es schlimmer zu machen. Unser ökologischer Fußabdruck ist zu groß. Wir leben, als hätten wir eineinhalb Planeten. In Europa als hätten wir drei Planeten, in den USA fünf. Wir müssen weniger Ressourcen verwenden, weniger verschmutzen, vor allem was Treibhausgase betrifft.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Buch 13 Vorschläge gemacht, wie die Welt sich zu einem Besseren wenden könnte. Ein nächster Anlauf?

Maxton: Wir haben bemerkt, dass niemand zugehört hat – oder Politiker die Nachricht einfach nicht verstanden haben. Die Mehrheit der Menschen soll von unseren Vorschlägen profitieren und deshalb in demokratischen Systemen dafür stimmen. Menschen sind durch Demokratie aber auch unter Zwang. Demokratie ist eigentlich eine Hürde, die uns von Entscheidungen abhält, die getroffen werden müssen.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Maxton: In China kann die Verschmutzung viel einfacher reduziert werden. Kein anderes Land bewegt sich im Moment schneller auf ein nachhaltiges Energiesystem zu. Wieso? Weil es dort keine Demokratie gibt. In unserem System gibt es zu viele Stimmen von beiden Seiten, den politischen Lobbyisten und jenen der großen Unternehmen, die versuchen, Veränderungen aufzuhalten.

STANDARD: Ist China als Beispiel nicht ein Top-down-Ansatz?

Maxton: Ich bin nicht gegen ein demokratisches System. Aber in vielen Ländern befinden sich politische Systeme derzeit in einer Krise. Jene, die gerade gewählt wurden, bringen uns weiter in eine falsche Richtung. Donald Trump zum Beispiel. Manche große Entscheidungen wären ohne demokratische Prozesse einfacher.

STANDARD: Wie auch Sie hat Donald Trump vorgeschlagen, den Außenhandel zu reduzieren, um Jobs im Land zu behalten.

Maxton: Die Grundidee, dass Handelsbarrieren Jobs sichern können, ist ähnlich wie unsere. Das Problem ist, dass wir einen fundamental falschen Glauben bezüglich des Wirtschaftssystems haben. Wir glauben an einen Verteilungseffekt von den Reichen zu den Armen, dass Wirtschaftswachstum Jobs schafft und die Menschen aus der Armut befreit. Wir verlagern Jobs nach China, lassen dort Güter produzieren und verlieren hier Stellen. Das liegt im Interesse der Firmen, nicht der Gesellschaft.

STANDARD: Was sagen Sie zu Trumps Rückzieher aus dem Pariser Klimaabkommen?

Maxton: Ich finde, dass das großartige Neuigkeiten waren. Es hat alle anderen wütend gemacht, Menschen erheben ihre Stimmen. Europa und China nehmen das Erreichen der Ziele jetzt viel ernster. Irgendwann werden die USA merken, dass sie in Verzug geraten, und sich doch beteiligen. Dann werden sie aber keine Last sein, sondern kooperieren.

STANDARD: Ist das Pariser Klimaabkommen anders als bisherige?

Maxton: Es ist sowohl ein Wunder wie auch ein Desaster. Ein Wunder, weil all diese Länder zusammengekommen sind und sich auf ein Abkommen einigen konnten. Ein Desaster, weil es bei weitem nicht ausreichend ist. Wenn wir uns an das Abkommen halten, bewegen wir uns auf eine Erderwärmung von drei Grad Celsius zu – und damit früher oder später auf fünf oder sechs Grad. Das ist katastrophal. Sobald wir die Zwei-Grad-Marke überschreiten, können wir die Erwärmung nicht mehr aufhalten.

STANDARD: Ihre Vorschläge sollen das Wohlergehen in der reichen Welt verbessern. Wieso nur in der reichen?

Maxton: In den vergangenen hundert Jahren haben Ökonomen versucht, die gleiche Idee – und zwar die des freien Marktes – überall anzuwenden. Wir sagen, dass die Politik der reichen Länder eine andere sein muss als die der ärmeren. Unser Fokus liegt auf der reichen Welt, weil sie die meisten Probleme geschaffen hat. Sie hat jetzt die Verantwortung, dem Rest der Welt ein Vorbild zu sein. Wir müssen aber wohl noch ein Buch über die ärmeren Teile der Welt schreiben.

STANDARD: Dort hat sich ja auch die Industrie hinverlagert.

Maxton: Das ist ein großes Problem der Zukunft. Aber der Großteil der Menschen in Afrika und Asien lebt eigentlich nachhaltig. Das wahre Problem liegt in den USA und in Europa. Viele Menschen denken, dass das Verschmutzungsproblem in China und jenes der Überbevölkerung in Afrika liegt. Es ist leicht, in Wien zu sitzen und zu sagen, das ist deren Problem. Das ist es nicht. Wir haben diese Probleme in den vergangenen 150 Jahren kreiert. Unsere Kinder haben einen wesentlich größeren ökologischen Fußabdruck als ein indisches oder afrikanisches Kind. Wir müssen uns eingestehen, dass wir verantwortlich sind, und deshalb auch eine Lösung finden müssen.

STANDARD: Sie schlagen vor, dass Frauen in Europa, die mit 50 Jahren nur ein Kind großgezogen haben, mit 80.000 Dollar belohnt werden sollen.

Maxton: Die zwei Hauptprobleme momentan sind die Bevölkerung und unser Wirtschaftssystem. Das Bevölkerungswachstum ist nicht etwas, das wir gleich in Angriff nehmen können, weil es für Jahrzehnte fixiert ist. Dennoch wollten wir das Thema auf den Tisch bringen, damit Menschen anfangen darüber nachzudenken. Wir könnten so ein Beispiel setzen, statt nur den Finger auf jemanden zu richten.

STANDARD: Einige Ihrer Vorschläge, wie eine Anhebung der Reichen- und Erbschaftssteuer, sind nicht gerade neu. Dennoch wurden sie bisher nicht umgesetzt. Wieso nicht?

Maxton: Hauptsächlich, weil das reichste ein Prozent mehr politische Macht hat als die restlichen 99 Prozent. Es gibt einige sehr reiche Menschen wie Bill Gates oder Warren Buffett, die sich für eine hohe Erbschaftssteuer aussprechen. Aber die meisten Reichen wollen sich selbst nicht benachteiligen. Und deswegen kämpfen sie dagegen an.

STANDARD: Sie schlagen eine Reduzierung der Arbeitsstunden vor, wie sie Frankreich etwa seit Jahren umgesetzt hat. Wie erklären Sie sich, dass die Franzosen heuer dennoch für Emmanuel Macron, der diese Regelung aufweichen möchte, gestimmt haben?

Maxton: Die Franzosen hatten die richtige Idee, haben sie aber falsch angewandt. Das war zu schnell, die Wirtschaft hatte keine Zeit, sich anzupassen. Mit Macron bewegen sich die Franzosen wieder in die Richtung eines neoliberalen Systems. Dabei muss es in die andere Richtung gehen. Die kapitalistische Tagesordnung der vergangenen 20 Jahre kann keine Lösung für das Problem sein, weil sie die Ursache ist.

STANDARD: Laut OECD hat sich die Arbeitslosenrate durchschnittlich wieder beim Vorkrisenniveau eingependelt, dennoch steigt die Ungleichheit. Wieso?

Maxton: Zwischen 1990 und heute hatten wir das stärkste Wachstum der Geschichte innerhalb der Industriestaaten. Auch die Arbeitslosigkeit ist seit damals gestiegen. Der Grund, wieso die Ungleichheit gestiegen ist, liegt darin, dass immer mehr Menschen nur teilzeitbeschäftigt sind und über niedrigere Realeinkommen verfügen. Das Durchschnittseinkommen ist heute in den USA und Großbritannien niedriger als in den 1980er-Jahren. Die Krise und die Reaktionen der Zentralbanken haben die Reichen immer reicher gemacht. Die Schere zwischen arm und reich ging weiter auf.

STANDARD: Welchen Einfluss haben individuelle Entscheidungen auf die Umwelt?

Maxton: Ich würde gern sagen, einen großen, aber das stimmt nicht. Während ein Mensch in Europa anfängt, vegan zu leben oder zu recyceln, fangen zehn Menschen in China an, Fleisch zu essen. Als Individuen können wir die Welt nicht retten. Die einzige Möglichkeit, wie wir als Individuen etwas erreichen können, ist, gemeinsam zu agieren und die Politik dazu zu zwingen, etwas zu ändern.

STANDARD: Gibt es heute ein stärkeres Nachhaltigkeitsbewusstsein?

Maxton: Ja, in Ländern wie Österreich oder der Schweiz. In China haben sie aus anderen Gründen ein Bewusstsein dafür gebildet. In ärmeren Ländern wie Indonesien versuchen Menschen einfach ihre Familien zu ernähren. Da hat Nachhaltigkeit keine Priorität. Durch Phänomene wie die Hitzewelle in Pakistan, das Feuer in Portugal oder das Hochwasser in Südamerika werden Menschen aber viel aufmerksamer. (Nora Laufer, 21.6.2017)