Einen Monat nach Verhängung des Kriegsrechts auf der südphilippinischen Insel Mindanao sind die islamistischen Rebellen in der besetzten Stadt Marawi offenbar in erheblicher Bedrängnis. Am 23. Mai hatten rund fünfhundert Islamisten der mit der IS-Miliz verbündeten Maute-Brüder und Abu Sayyaf die Stadt gestürmt. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte verhängte umgehend für sechzig Tage das Kriegsrecht in der gesamten Region.

Mindestens 280 Terroristen sollen seit Ausbruch der Kämpfe getötet worden sein. Darunter sind auch Islamisten aus Malaysia und Indonesien zu finden, ebenso wie Kämpfer aus Tschetschenien und Jemen. Die Verluste der Regierungstruppen umfassen 69 Mann. Die Zahl der getöteten Zivilisten wird mit 26 angegeben, wobei noch hunderte Menschen in der umkämpften Zone im Zentrum Marawis als Geiseln festgehalten werden. Bei der Besetzung der Stadt brannten die Angreifer Kirchen und Schulen nieder und befreiten Anhänger aus einem Gefängnis.

Mit dem Angriff auf Marawi spielte sich die Maute-Gruppe ins internationale Rampenlicht. Ursprünglich gehörten die Mautes der Moro Islamic Liberation Front (MILF) an. Der Vater der Brüder, Cayamora Maute, gehörte zur Führungsschicht der MILF. Nachdem die MILF jedoch Friedensgespräche mit der philippinischen Regierung aufgenommen hatte, sagten sich die Maute-Brüder – insgesamt sind es sieben Brüder und ein Halbbruder – los und gründeten 2013 unter der Führung von Omarkhayam und Abdullah Maute ihre eigene Terrorgruppe unter dem Namen "Dawlah Islamiyah" ("Islamischer Staat") respektive "IS-Ranao" und schworen dem IS in Syrien und dem Irak die Treue.

Regierung sieht Erfolg

Studentenproteste in Manila gegen das Kriegsrecht und die Luftangriffe in Marawi.
Foto: APA/AFP/Celis

Im Malacañang-Palast, der offiziellen Residenz des Präsidenten in Manila, sieht man trotz aller Kritik aus dem In- und Ausland die Militäroffensive gegen die Rebellen als Erfolg an. Dutertes Sprecher Ernesto Abella erklärte am Freitag bei einer Pressekonferenz in der Metropole Davao City, die Regierung habe damit die Errichtung einer Provinz des "Islamischen Staates" in Mindanao verhindern können. In Manila demonstrierten am Freitag hingegen Aktivisten gegen das Kriegsrecht und die Luftangriffe in Marawi. Sie forderten ein sofortiges Ende der Bombardements auf die Terroristen.

Ebenfalls am Freitag gab der Stabschef der Armee, General Eduardo Año, in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Associated Press bekannt, dass der Finanzier der Terrorgruppe, der Malaysier Mahmud bin Ahmad, getötet worden sei. Ahmad sei schon im Mai verwundet worden und am 7. Juni seinen Verletzungen erlegen. Das Militär wisse in etwa, wo Ahmad begraben wurde, und arbeite daran, den genauen Ort zu lokalisieren, sagte Año.

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Ein geretteter Einwohner von Marawi zeigt auf einem Plakat auf bestimmte Mitglieder der Maute-Gruppe.
Foto: Reuters/Ranoco

Der auch unter dem Namen Abu Handzalah bekannte ehemalige Universitätsprofessor für islamisches Recht soll den Überfall auf Marawi mit mehr als 30 Millionen Pesos (rund 530.000 Euro) für den Ankauf von Waffen und Ausrüstung finanziert haben. General Año war Anfang Mai von Duterte als künftiger Innenminister designiert worden, er soll das Regierungsamt im Oktober übernehmen.

Zentrum des Islam

Die 200.000-Einwohner-Stadt Marawi ist das Zentrum des Islam auf den Philippinen. Hier sind auch die Maute-Brüder aufgewachsen, die gemeinsam mit dem IS-Südostasien-Chef Isnilon Totoni Hapilon den Sturm auf die Stadt geplant haben.

Nach Ansicht des Militärs sind mittlerweile mindestens zwei der Maute-Brüder tot – Omarkhayam und Madi, wie der Kommandant von West-Mindanao Carlito Galvez Jr. am Freitag erklärte. Was das Schicksal von Abdullah Maute und Isnilon Hapilon betrifft, herrscht jedoch Unklarheit. Galvez ist sich aber sicher, dass der Aufstand in Kürze ein Ende finden werde.

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Der 67-jährige Vater der Maute-Brüder, Cayamora Maute, am 6. Juni nach seiner Festnahme in Davao City.
Foto: Reuters/Daval

Matriarchale Tradition

Die Mautes stammen von einem Kriegerclan aus der Ethnie der Maranao aus der Stadt Butig in der Provinz Lanao del Sur ab. Bereits am 6. Juni ist Cayamora Maute in Davao verhaftet worden. Cayamoras erste Frau, die Mutter der Terrorbrüder, folgte drei Tage später. Ominta Romato Maute, genannt "Farhana", wurde eine Autostunde von Marawi entfernt festgenommen.

Mit der Matriarchin wurden sieben weitere Frauen aus dem Clan und zwei Männer mit Schussverletzungen verhaftet. Die Gruppe hatte Schusswaffen und Sprengstoff dabei. Farhana soll Marawi schon am dritten Tag der Gefechte verlassen haben, offensichtlich, um verletzten Terroristen einen Rückzugsraum bieten zu können.

Bei den Maranao gibt es eine Tradition des Matriarchats. Die 60-jährige Farhana betrieb einen Handel mit Möbeln und Gebrauchtwagen und sorgte für die Radikalisierung und Rekrutierung Jugendlicher in der Region. Grundbesitz in Mindanao und in Manila unterstreichen, dass die Maute-Familie durchaus wohlhabend war.

Die Planung des Überfalls: Abdullah Maute steht am Kartentisch der Terroristen, im Hintergrund sitzt Isnilon Hapilon (Zweiter von links).
Foto: APA/AFP

In der Stadt Butig pflegte Farhana auch beste Beziehungen zur lokalen Politik, auf die sie erheblichen Einfluss gehabt haben soll. Für die Gegend nicht unüblich, unterhielt der Familienclan eine eigene Miliz – aufgebaut auf den Söhnen. Als es jedoch zu einer Streitigkeit mit dem Bürgermeister Butigs kam, führte dies zu einem Rido – einer für Mindanao typischen Blutfehde zwischen verfeindeten Clans.

Zeitbombe

Anführer Omarkhayam Maute bezeichnet sich auf seinem Facebook-Account selbst als "Walking Time-Bomb". Er studierte an der Al-Azhar-Universität in Kairo. Dort lernte er auch seine Frau Minhati Madrais kennen, die Tochter eines konservativen indonesischen Klerikers.

Abdullah Maute studierte wie Omarkhayam islamische Theologie, im Gegensatz zu seinem Bruder allerdings in Jordanien. Beide waren ursprünglich als philippinische Gastarbeiter in den Nahen Osten gekommen.

Vorgeschmack

Im Februar und im November 2016 überfielen die Mautes zweimal Butig. Nach dem ersten Angriff hatten Omarkhayans Verwandte seinen Tod und den zweier weiterer Brüder bestätigt – offenbar eine Falschinformation. Beim zweiten Versuch konnte die Armee die Stadt erst nach fünf Tagen wieder vollständig unter Kontrolle bringen – ein kleiner Vorgeschmack auf die nunmehrige Besetzung Marawis. Im April 2016 köpften die Mautes zwei Arbeiter eines Sägewerks, die sie der Spionage für die Armee verdächtigten, und stellten ein Video der Morde ins Internet.

Am 2. September 2016 explodierte eine Bombe auf einem Markt in Davao City – der Stadt, in der Rodrigo Duterte viele Jahre als Bürgermeister regiert hatte. 15 Menschen starben, siebzig wurden verletzt, drei Verdächtige aus der Maute-Gruppe wurden festgenommen, und der Präsident rief den Notstand aus.. In dieser Zeit fand auch der Zusammenschluss zwischen den Mautes und der seit den 1990er-Jahren aktiven Terrororganisation Abu Sayyaf statt.

Emir der Philippinen

Isnilon Hapilon hat es bis zum Vizechef von Abu Sayyaf gebracht, ehe er vom IS zum Emir der Philippinen ernannt wurde. Auch als "Abu Abdullah al-Filipini" bekannt, ist er der meistgesuchte Verbrecher der Philippinen und steht auf der Fahndungsliste der USA, wo fünf Millionen Dollar Prämie auf ihn ausgesetzt sind, weil er an der Köpfung eines US-Amerikaners beteiligt war. Laut Aussagen verhafteter Maute-Mitglieder habe er die Anordnung für den Anschlag in Davao gegeben.

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Hapilon war die philippinische Armee bei jener Razzia am 23. Mai in Marawi auf den Fersen, nach welcher der Angriff der Islamisten auf die Stadt erfolgte. Ein bei dieser Durchsuchung gefundenes, wenige Tage altes Handyvideo zeigt Hapilon mit den Maute-Brüdern bei der Planung des Überfalls auf Marawi.

Auf einem selbstgezeichneten Stadtplan sind diverse Ziele der Terroristen vermerkt, Abdullah Maute steht über die Karte gebeugt und referiert über Geiselnahmen und Straßensperren. Die Stadt sollte komplett abgeriegelt werden. Das Video dient der Regierung als Beweis für die Pläne der Mautes zur Errichtung einer eigenen Provinz des IS-Kalifats. Es ist der sichtbare Beleg dafür, dass die lokalen Terrorgruppe dem IS nicht nur die Treue geschworen hat, sondern dass beide aktiv in Koordination und Durchführung von Terrorattacken zusammenarbeiten.

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Luftangriff auf Marawi.
Foto: Reuters/Ranoco

Ob dies eine ausreichende Rechtfertigung für die Verhängung des Kriegsrechts auf ganz Mindanao ist, wird von der Opposition bezweifelt. Auch von Übergriffen auf Zivilisten durch Militär und Polizei wurde bereits berichtet. Es scheint jedenfalls nicht unwahrscheinlich zu sein, dass Duterte das Kriegsrecht nach Ablauf der sechzig Tage verlängern lässt, selbst wenn die Besetzung von Marawi in den kommenden vier Wochen beendet werden kann. (Michael Vosatka, 24.6.2017)