Drei Kandidaten: Kurz, Kern und Strache im Parlament. Kein Kandidat ist Vizekanzler Brandstetter.

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Als frischgebackener ÖVP-Vorsitzender sprach Sebastian Kurz am Donnerstag in Brüssel am Rande des Europäischen Volksparteigipfels erstmals die konservativen Parteichefs Angela Merkel und Viktor Orbán. Offen bleibt die Frage, wem Kurz sich mehr verbunden fühlt: dem illiberalen Orbán oder der liberal-konservativen Merkel. Bei beiden warb er für seine neueste Idee: Schließen der Mittelmeerroute. Nach Kurz' Alleingang 2016 in der Wiener Koalition, die Westbalkanroute gegen Asylbewerber und Migranten zu schließen, will er nun im Wahlkampf die Schließung der Mittelmeerroute. Wobei Orbáns martialischer Doppelzaun zu Serbien und das EU-Türkei-Abkommen vermutlich mehr zur Schließung der Balkanroute beitrugen als Kurz' Konferenz ohne Griechen und Deutsche und die anschließenden unwürdigen Bilder an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Auf jeden Fall gilt es aus Sicht des ÖVP-Jungstars, in Österreich im Wahlkampf den Freiheitlichen keinen Spielraum in der öffentlichen Debatte um die Abwehr von Flüchtlingen zu lassen, so darf man aus den Debatten von 2016 schließen. Und das rückt ihn näher zu Orbán als zu Merkel.

Sebastian Kurz spricht zwar vom "sauberen Wahlkampf", ist aber bereit, die in der Bevölkerung weitverbreitete Islamfeindlichkeit auszunützen, und instrumentalisiert aktuell die längst bekannte Kritik an islamischen Kindergärten in Wien dafür (siehe Seite 39).

Der Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Christian Kern hingegen kommt nur sehr langsam aus der wochenlangen Diskussion um die denkbare Koalition mit der Freiheitlichen Partei heraus. Inhaltliche Akzente sind im Vorspiel zum Wahlkampf noch selten. Kern droht im strategischen Sandkasten der Koalitionsspiele sitzen zu bleiben. Bisher fällt es ihm schwer, mit sozialdemokratischen Inhalten zu überzeugen. Seine Kriterienkatalogskommission unterstreicht allein seinen Willen, Kanzler zu bleiben. Und deren Wertekompass offenbart, dass den Sozialdemokraten die Richtung ihrer Politik unklar ist, sonst brauchten sie keinen.

Diese Debatte nutzt der FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache, um sich wieder ins Spiel zu bringen, gar die SPÖ unter Druck zu setzen. Wer über Koalitionen diskutieren muss, kann sich dem Wähler nicht selbst präsentieren.

Sozialdemokraten wie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders haben vor allem die jungen Leute als Wähler gewonnen mit ihrem glasklaren Programm der sozialen Gerechtigkeit. Martin Schulz, SPD-Spitzenkandidat in Deutschland für die Wahlen Ende September, überholte kurzzeitig Kanzlerin Merkel in Umfragen, als er das Thema soziale Gerechtigkeit als sein Ziel nannte. Als es dann an Konkretionen mangelte, fiel Schulz wieder zurück. Es sieht nicht so aus, als ob er den ersten Schwung wiedergewinnen könne.

Christian Kern hatte im Jänner mit seinem "Plan A" zwar einen guten Start hingelegt. Dann allerdings verhedderten er und die Partei sich in den Strategiespielen um die FPÖ.

Ob Frankreich, die Niederlande, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Schweden, Griechenland: In vielen Ländern Europas ist die Sozialdemokratie zurzeit keine prägende Kraft mehr.

Dem linksliberalen Lager in Österreich ist es nur mit Mühe gelungen, Alexander Van der Bellen in die Hofburg zu wählen. Sein uneingeschränktes Bekenntnis zur Europäischen Union spielte dabei eine herausragende Rolle.

Klarheit ist gefragt

Klarheit, Eindeutigkeit und Authentizität sind gefragt beim Wähler. Kanadas junger Premier Justin Trudeau und Frankreichs Präsident Macron sind da Vorbilder. Wer mit wem dann schließlich das Land regiert, wird erst nach Auszählung der Stimmen kalkulierbar werden.

Die Diskussion in der SPÖ über die Kooperation mit der FPÖ mutet wie Schattenboxen an: Seit dem burgenländischen Entscheid, rot-blau zu regieren, war der Parteitagsbeschluss schon nichts mehr wert, auch wenn mancher in der SPÖ noch anderes behauptete. Und dass Kurz sich auf Schwarz-Blau orientiert, wird mit dem Rechtsruck der ÖVP in den letzten zwölf Monaten mehr als deutlich. Da wirkte dann der oberösterreichische Eintritt in die Koalition nur noch wie die Bestätigung eines Testlaufes.

Das Gespenst der außenpolitischen Isolation des Jahres 2000 wird im Schrank bleiben: Damals wurde das noch kleinere Europa von Wolfgang Schüssel überrascht und fühlte sich teils betrogen, weil er seine Zusage im Kreis der EU-Staats- und -Regierungschefs nicht einhielt: keine Koalition mit den Rechtspopulisten.

Seit der Erweiterung und mit Regierungschefs wie Orbán, Fico, Parteichefs wie Kaczynski und Babis in Tschechien wird es keine Einstimmigkeit gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung in Österreich wie 2000 mehr geben. Ein Affront wird eine Koalition mit den Rechtspopulisten dennoch sein. Vor allem für Macron und Merkel. Nicht nur die zwei sehen durch die Rechtspopulisten in Europa die Idee und die Praxis der EU bedroht. Und sie bekämpfen deswegen den Front National oder die AfD, beides Partner der österreichischen Freiheitlichen.

Geringere Chancen

Geht Österreich diesen Weg, könnte das zum Beispiel die Chancen verringern, eine der beiden EU-Agenturen nach Wien zu holen, die London nach dem Brexit verlassen werden. Und begründet Zweifel, was die Orientierung Österreichs auf eine Europäische Union mit mehr Gemeinsamkeit angeht. (Klaus Prömpers, 23.6.2017)